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Interview mit Claudia Hildebrandt

Zuletzt aktualisiert am 4. Oktober 2022 von vik_admin

(Bio)
Claudia Hildebrandt
Schriftzug in Schreibschrift "Just Relax"
In dem folgenden Interview klärt uns die Familienexpertin Claudia Hildebrandt u.a. darüber auf, was es mit dem Begriff "Bonusmutter" auf sich hat.
Claudia Hildebrandt

Einstieg

Hallo Frau Hildebrandt, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, um uns als Experte zum Thema “Familie” ein paar Fragen zu beantworten. Fangen wir gleich mit der ersten Frage an – wo mehrere Menschen zusammenkommen, kommt es auch unweigerlich zu Konfliktsituationen. Woran liegt es, dass besonders Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Familie schwierig zu bewältigen sind?

Die Menschen in unsere Familie stehen uns am nächsten, wir lieben sie mehr als andere Menschen. Entsprechend sind Konflikte innerhalb der Familie für uns auch schlimmer, als wenn wir sie mit Menschen haben, die uns nicht so wichtig sind. Dahinter steht die Angst, von den für uns wichtigen Menschen nicht mehr gemocht, nicht mehr geliebt oder schlimmstenfalls sogar verlassen zu werden. Fast immer stehen uns hinderliche Meinungen und Haltungen oder Kommunikationsprobleme im Weg.

Oftmals schwört man als Kind, nie wie die Eltern zu werden, nur um dann als Erwachsener die gleichen Fehler zu begehen. Stimmt es, dass Menschen tendenziell im Laufe ihres Lebens ihren Eltern ähnlicher werden und vor allem in der Kindererziehung die gleichen Ansichten haben?

Die Kindheit ist die prägendste Lebensphase. Wenn wir als Kind bestimmte Sätze immer wieder hören oder Handlungen immer wieder erleben, brennen sie sich in unser System ein, unabhängig davon, ob wir diese gut finden oder nicht. Haben wir dann als Erwachsene selbst Kinder erinnern wir uns unbewusst an diese Sätze und Handlungen und wenden sie an. Nicht alle, aber einige davon. Wir werden also nicht unseren Eltern immer ähnlicher, wir waren es die ganze Zeit schon. Weil sie es waren, die uns in unserer Kindheit maßgeblich geprägt haben.

Bonusmutter

Sie bezeichnen sich auf Ihrer Website selbst als „Bonusmutter“. Warum bevorzugen Sie dieses Wort gegenüber dem klassischen Begriff der „Stiefmutter“?

Im Grunde ist es mir egal, wie man es nennt, für mich ist die Haltung dahinter und das Handeln als Bonus- oder Stiefeltern entscheidend. Das Wort Stiefmutter ist in unserer Gesellschaft negativ belastet, das liegt vermutlich an der meist schlechten Darstellung in Märchen. Wenn Eltern sich trennen und neue Partner:innen dazukommen ist dies in meinen Augen immer ein Bonus für die Kinder, weil sie zusätzlich zu ihren leiblichen Eltern noch mehr Erwachsene in ihr Leben bekommen, von dessen Einflüssen sie profitieren können. Man sagt ja, es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen. So gesehen wächst das Dorf, wenn sich Eltern trennen und neue Partner:innen das Leben der Kinder bereichern – sofern sie auch genau das möchten. Ich finde, dass Bonuseltern nur diese eine Aufgabe haben: das Leben der Kinder des Partners oder der Partnerin bereichern. Stiefeltern wurden früher leider gern den Kindern mit der Erwartung vorgesetzt, dass die Kinder sie vollumfänglich akzeptieren müssen und auf sie hören sollen. Die Stiefeltern haben sich meistens eingemischt, die Kinder auch erzogen. Das ist in meinen Augen übergriffig. Als Bonusmutter bin ich nicht für das Kind meines Partners verantwortlich, ich mische mich in seine Erziehungsentscheidungen nicht ein, das dürfen nur die leiblichen Eltern. Ich bin für das Kind da, wenn es das möchte und ich unterstütze meinen Partner, wenn er das möchte. Ich bin ein Bonus für das Kind, weil ich eben nicht sein leiblicher Elternteil bin und mich auch nicht so verhalte. Stattdessen bin ich eine erwachsene Person, von der das Kind lernen kann, das ist der Bonus im Leben des Kindes. Und diese Haltung verkörpert das Wort Bonusmutter für mich besser als das Wort Stiefmutter.

Kinder lassen sich selten gerne etwas vorschreiben, vor allem von anfangs Fremden. Mit welchen Herausforderungen sehen sich Bonusmütter im Besonderen konfrontiert, wenn es um die Erziehung und das Zusammenleben mit Kindern geht?

Als Bonsumutter ist es mein Wunsch, dass das Kind meines Partners mir vertraut und mich mag. Das kann ich jedoch keinesfalls als Grundsatzhaltung von dem Kind erwarten oder gar verlangen. Ich muss die Sicht des Kindes einnehmen: “Meine Eltern haben sich getrennt, das ist für mich unfassbar schlimm. Ich möchte am liebsten, dass sie wieder zusammen kommen.“ Unter diesem Aspekt kann ich mir als Bonusmutter Vertrauen und Zuneigung des Kindes nur verdienen, indem ich es so akzeptiere, wie es ist, auch wenn es mich ablehnt. Und das dauert so lange bis das Kind bereit ist, die Situation zu akzeptieren und bis es die Trauer über den Verlust beider Elternteile als Paar überwunden hat. Das kann einige Jahre dauern und solange warte ich. Und wenn ich mich nicht als zusätzliche Mutter in das Leben des Kindes einmische, sondern das Kind respektiere, akzeptiere und liebevoll behandle, wird es mich irgendwann auch akzeptieren und respektieren. Und mehr kann ich nicht erwarten. Alles weitere ist ein Bonus, den das Kind mir gibt, wenn es dazu bereit ist – deswegen spreche ich auch von Bonuskindern.

Erziehung, Probleme und Konfliktlösungen

Die Kindererziehung stellt einen jeden Tag vor neue Herausforderungen. Wie stellen Sie persönlich sicher, dass Sie sich in Ihrer Rolle als Elternteil nicht verlieren und auch auf sich selbst achten?

Ich sorge für mich und dafür, dass ich genug Energie habe, um meine Herausforderungen zu meistern. Ich nehme mir regelmäßige Auszeit und Zeit für Austausch mit mir wichtigen Menschen. Ich habe einen Beruf, der mir Erfüllung und Flexibilität bringt, was ich beides in meinem Leben brauche. Das gibt mir Kraft auf meinem Weg, die beste Mutter für meine Kinder zu sein. Ich weiß, dass mir das nicht immer gelingt und meine Kinder wissen das auch. Und das ist absolut okay, ich habe keinen Anspruch auf Perfektion sondern lasse mich immer wieder auf neue Themen ein und bin bereit, ständig dazu zu lernen. Mir macht das sogar Spaß, auch wenn es manchmal sehr unangenehm und schmerzhaft für mich ist.

Menschen sind komplizierte Wesen und das enge Zusammenspiel dieser Wesen kann sich in vielen verschiedenen Facetten niederschlagen. Mit welchen Problemen kommen Ihre Kund*innen charakteristischerweise auf Sie zu? Welche Probleme plagen viele Familien, die sie betreuen?

Die Probleme, die meine Klient:innen zu mir bringt, sind zum Beispiel unterschiedliche Einstellungen zur Erziehung, Fragen zu Erziehungsthemen oder wiederkehrende Konflikte mit den Kindern. Auf der Paarebene sind es meistens Kommunikationsprobleme und die Tatsache, dass wir die Nähe als Paar verlieren, wenn wir Eltern werden. Die heutige Kleinfamilie hat viel (eigene) Erwartungen zu erfüllen: Wir wollen Zeit für uns allein, Zeit als Paar, Zeit als Familie; wir wollen erfolgreich im Beruf und tolle Eltern sein. Dahinter ist ein hoher Druck, dem wir kaum standhalten können und das verursacht Unzufriedenheit. An diesen Themen arbeiten wir gemeinsam.

Sie bieten im Rahmen ihrer Familienberatung die „Rational-Emotive Therapy“ (RET) nach Grieger und Ellis an. Was genau kann man sich unter dieser Therapie vorstellen und wie können Sie damit konkret den Familien helfen, die mit Ihnen zusammenarbeiten?

RET ist eine kognitive Therapieform. Ich verwende daraus, dass wir in der Beratung gemeinsam konfliktauslösende Situationen betrachten und dann erforschen, welche hinderlichen Überzeugungen und Verhaltensmuster dahinter stehen. Anders gesagt: Wir öffnen die Schubladen im Kopf, schauen uns den Inhalt an, entlarven die Haltungen, die uns nicht (mehr) weiterbringen und legen hilfreiche Impulse hinein, die zielförderlich sind. Das führt nach und nach zu einer kognitiven und hilfreichen Umstrukturierung, um das zu Beratungsbeginn festgelegte Ziel zu erreichen.

Alleinerziehend

Es kommt gefühlt immer häufiger vor: Eltern trennen sich, die Kinder wechseln immer ihren Aufenthaltsort oder bleiben sogar ganz bei einem einzigen Elternteil. Mit was haben Alleinerziehende Eltern besonders zu kämpfen? Worauf müssen sie besonders achten?

Zum einen gibt es oft Konflikte bezüglich der finanziellen Unterstützung, dem Umgangsrecht und dem Einmischen neuer Partner:innen. Zudem ist es sehr belastend, dass man in der jeweiligen Betreuungszeit, schlimmstenfalls dauerhaft, allein ist: mit dem mental load, der Organisation und der alleinigen Betreuung und Erziehung des Kindes. Ganz alleine für ein Kind verantwortlich zu sein und es versorgen zu müssen ist sehr anstrengend. Daher ist es wichtig, dass komplett Alleinerziehende sich ein Dorf suchen: Verwandte, Freunde, externe Betreuung, die das Elternteil entlasten und unterstützen. Ich kann nur dann ein gutes Elternteil sein, wenn es mir selbst gut geht und dafür kann nur ich selbst sorgen. Vollzeit-Alleinerziehende sollten das zur obersten Priorität machen.

Wenn es ein gemeinsames und abwechselndes Betreuungsmodell zwischen beiden Elternteilen vereinbart wurde ist es wichtig, dass die Eltern einen empathischen und wertschätzenden Umgang miteinander haben. Rosenkrieg sollte immer vermieden werden, das ist eine enorme zusätzliche Belastung für die Kinder. Leider gilt die Regel: sobald einer Krieg will, gibt es auch Krieg. Beide sind gemeinsam für die Stimmung verantwortlich und einer allein kann nur wenig ausrichten. Getrennt lebende Eltern sollten danach handeln, was das Beste für die Kinder ist und eigene Befindlichkeiten und gegenseitige Verletzungen überwinden. Kinder brauchen weiterhin ein Eltern-Team.

Buchtipp

Sie geben auf Ihrer Website viele Buchempfehlung ab. Welches Buch würden Sie als Startpunkt empfehlen, wenn sich eine Familie grundlegend weiterentwickeln und harmonischer leben möchte?

Grenzen, Nähe und Respekt von Jesper Juul empfehle ich als Einstiegslektüre. Es geht darum, als Eltern einen gesunden und hilfreichen Umgang mit Macht und Verantwortung zu lernen. In ihrer eigenen Kindheit haben das die meisten Eltern nicht gelehrt bekommen, also müssen sie es sich selbst beibringen, wenn sie eigene Kinder haben.

Vielen Dank, Frau Hildebrandt, für den Einblick in Ihre Arbeit und Ihre Tipps, mit denen unsere Leser hoffentlich ein gesundes und entspanntes Familienleben entwickeln können.

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