Einstieg
Hallo und herzlich Willkommen zu unserer Interview Reihe zum Thema Achtsamkeit. Heute haben wir Corinna Bauer bei uns. Möchten Sie sich einmal kurz vorstellen?
Ja, sehr gerne. Ja, wie schon anmoderiert, mein Name ist Corinna Bauer, ich bin gebürtige Nürnbergerin und bin als Berater und Coach für Personal- und Organisationsentwicklung in schönen, mittelständischen und großen Unternehmen der DACH-Region unterwegs. Mein Spezialgebiet kann man sagen, ist Veränderungsmanagement und berate seit 4 Jahren kleine mittelständische und große Unternehmen. Und ich hab vorher 7 Jahre lang Erfahrungen in der Industrie gesammelt. Ich war im Vertrieb unterwegs, hab Business Development gemacht bei der Siemens AG und habe immer die Frage gestellt: Was macht denn eigentlich Unternehmen, wenn man mal die ganzen Produkte und Dienstleistungen abzieht, so erfolgreich?“ Dieser Frage bin ich dann nachgegangen. Ich habe intern dann ein Führungskräfte-Netzwerk gegründet innerhalb von 6 Monaten, 80 Führungskräfte aus allen Bereichen und Ebenen zusammengebracht und diese Frage immer wieder zusammen reflektiert. Das hat mir allerdings noch nicht gereicht. Ich bin dann ins Sillicon Valley geflogen und hab da verschiedene Führungskräfte von Unternehmen wie Google interviewt, Projekte zusammen gemacht und habe dann die Antwort bekommen. Und die Antwort war immer wieder die gleiche, egal wen ich gefragt habe und die Antwort lautete: „Put the people in the middle of everything“, also stellt den Menschen in den Mittelpunkt jedes Handels und das Unternehmen wird erfolgreich sein. Ich hab dann ein Unternehmen gegründet und berufsbegleitend Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftsingenieurwesen studiert und promoviere aktuell an der Universität in Bayreuth. Gerade zu den Themen, was Unternehmen erfolgreich in Zeiten des Wandels macht. Genau so ganz kurz zu meiner Person und meinen Werdegang.
Ja, das hört sich sehr spannend an. Wir haben das Thema Achtsamkeit und es gibt ja verschiedene Punkte, die auch im Berufsleben damit zu tun haben. Was bedeutet aber für Sie persönlich Achtsamkeit?
Ja schöne Frage, denn, wenn man sich das Wort mal anschaut, woher kommt eigentlich das Wort Achtsamkeit? Wenn wir es aus dem Englischen ableiten, also das mal unterteilen in zwei Wortbereiche, einmal „mind“ und einmal „full“, also diese Mindfulness. Auf der einen Seite meint „mind“ ja den Geist und „fulness“ diese Vollständigkeit. Und ganz spannend, wenn man da mal den Blick so n bisschen drauf richtet in die chinesische Sprache, dann gibt es das Schriftzeichen für Mindfulness. Der obere Teil bedeutet „Jetzt“ und der untere Teil des Schriftzeichens bedeutet „Herz“ und wenn man das vereint, dann ist für mich Achtsamkeit eben mit Herz und Geist ganz im Hier und Jetzt.
Achtsamkeit im Alltag
In der heutigen Zeit ist man ja immer und überall erreichbar, durch Smartphone, durch Social Media und auch für den Arbeitgeber und das verursacht bei vielen Mitarbeitern Stress oder setzt diese unter Druck, auch wenn sie frei haben. Was sind Ihre persönlichen Tipps? Wie kann man das am besten abschalten?
Die ständige Erreichbarkeit macht uns Menschen müde. Wir wissen aus der Forschung, dass Amerikaner das missing Out/ Fomo-Krankheit haben, das heißt, dass wir Menschen ständig Angst haben, etwas zu verpassen. Spannend ist hier übrigens auch, dass nahezu jede App so aufgebaut ist, dass die Menschen in dieser App kleben bleiben, das nennt man diese stickyness. Also wenn Sie dann Instagram, YouTube und Facebook nennen, dann ja, das macht uns eben müde, weil wir scheinbar nicht alle Informationen erfassen können, weil das Scrollen nach unten eben niemals aufhört und ich vergleiche das immer mal ganz gerne mit einer geöffneten Chipstüte. Wir können einfach schwer aufhören zu essen, wenn die offen ist und dann gibt es auch ein ganz spannendes Experiment. Man hat da Probanden getestet: 2 Gruppen, bei denen beide Gruppen einen Teller Suppe löffeln sollten. Bei einer Gruppe hat sich die Schüssel immer wieder automatisch selbst aufgefüllt und die hat 73% mehr gegessen, als die andere Gruppe, die nur einen Teller hatte, der sich nicht nachgefüllt hat. Was tut man aber bei dieser ständigen Reizüberflutung?
Der erste Grund ist Mitarbeiter. Wenn sie etwas nicht können, nicht wollen oder nicht dürfen. Wenn Mitarbeiter nicht fähig sind und die Kompetenzen nicht da sind, um diese Veränderungen wirklich gerecht zu werden. Ja, zum Beispiel fehlt das notwendige Material oder die Distanz zu groß. Wir haben nicht genügend Weiterbildungen, um auch Veränderungen zu meistern. Dann passiert bei Menschen, dass sie einfach in einen Zustand kommen, wo sie überfordert sind und nicht mehr wissen, was sie machen sollen. Also die erste Lösung ist wirklich nahe am Mitarbeiter zu sein, ihn aktiv zu fragen „was fehlt dir gerade, was brauchst du?“ Und da reicht eben nicht mehr so, wie wir es von früheren Zeiten kennen, einmal in Jahren das Gespräch mit dem Mitarbeiter zu führen und dann ihn nie wiederzusehen, sondern wichtig ist, im Dialog zu bleiben, zu fragen „was brauchst du, wie kann ich einen Beitrag leisten, dass es dir jetzt wieder besser geht?“ Das kann eine Weiterbildung sein, weil er gerade deshalb das Projekt nicht vorantreiben kann. Das kann Dialog sein, das kann mal wieder einen Kaffee trinken sein, in Zeiten von Home-Office.
Das zweite, nicht wollen: Also manchmal ist es auch so, dass wir Menschen eben einen Job machen, der nicht zu uns passt und der nicht unserer Berufung entspricht, dann brennen wir sehr schnell aus, da fühlen wir uns sehr schnell gestresst, weil wir einfach mit unseren Talenten, mit unseren Stärken nicht für diese Tätigkeit geschaffen sind. Das heißt, sich auch da zu hinterfragen und das auch gerne im Dialog mit den Mitarbeitern. Wenn ich als Führungskraft das Gefühl habe, dass derjenige gerade nicht auf diese Stelle passt, im Dialog herauszuarbeiten, wie schaffe ich es denn jetzt, denjenigen an die Stelle des Unternehmens zu bringen, dass er sein maximales Potenzial wirklich entfalten kann. Also wirklich auch am richtigen Platz die richtigen Menschen platzieren, damit so ein Commitment entsteht. Wir wissen eben, dass gerade so Veränderungsprojekte scheitern, weil wir es nicht schaffen, Menschen an den richtigen Orten zu platzieren und wirklich das Beste herauszuholen aus den Menschen und aus dem gesamten Team dann.
Und das Dritte ist dann dieses „nicht dürfen“. Damit meine ich, wenn Mitarbeiter sich nicht entfalten können, sprich wenn die Unternehmenskultur nicht stimmig ist. Ich vergleiche das ganz gern immer mit dem guten Kaffee, der schmeckt eben noch besser aus einer schönen Tasse oder ein schönes Kunstwerk wirkt einfach im edlen Rahmen noch besser, noch stärker und deshalb ist es wichtig, auch die Rahmenbedingungen zu schaffen. Wenn ich manchmal Workshops mache mit Führungskräften und Mitarbeitern und die Frage stelle: „Was ist denn unsere Unternehmensvision, mit 15 Mann zum Beispiel?“ Dann bekomme ich oft zehn verschiedene und die zweite Frage ist dann immer: „Na ja, sind wir eigentlich auch alle in einem Team und ziehen an einem Strang?“ Also auch dieses Gemeinschaftsgefühl wieder zu stärken, dass Menschen wissen, warum sie zur Arbeit gehen, dass Menschen dieses Commitment wieder haben und dann schafft man das auch als Team gemeinsam Herausforderungen wieder zu meistern.
Die Arbeit an sich selbst
Wenn man morgens aufsteht, dann man hat im Kopf einen stressigen Tag vor sich. Wir haben hier einen Leistungsdruck- und Konkurrenz-Gesellschaft inzwischen und wir haben jetzt ganz viele Tipps gehört, wie man sich selbst so ein bisschen helfen kann. Was können zum Beispiel aber die Arbeitgeber am Arbeitsplatz machen, damit der Stress Level der Mitarbeiter ein bisschen sinkt.
Aha, ja ganz wichtiger Punkt, den Sie ansprechen, also erstmal wissen wir mittlerweile aus Studien, dass 70% der Arbeitnehmer in Deutschland schon innerlich gekündigt haben, also das ist eine Studie vom Gallup Institut. Und wir sehen, dass Mitarbeiter eine sehr geringe emotionale Bindung zum Unternehmen haben und eben nur Dienst nach Vorschrift machen und das Ganze kommt natürlich auch daher, dass wir gestresst sind, dass wir im Konkurrenzdenken sind, dass wir in einem gewissen Leistungsdruck auch arbeiten. Da habe ich folgende Metapher für ein hoch motiviertes Team: Wir haben jetzt einen schönen Apfelkorb mit frischen, knackigen Äpfeln und ich leg jetzt einen Apfel rein, der sehr schimmlig ist, der so ein bisschen schon vor sich hin fault wird ja. Wenn wir das symbolisch nehmen für jemanden, der nicht mehr arbeiten will, nicht mehr arbeiten kann, gestresst ist: Was passiert nach einer gewissen Zeit? Dann sind die anderen Äpfel auch faul und das sehe ich als eine der größten Herausforderungen im Unternehmen. Wir wissen, dass da eben auch geschäftlicher Schaden entstehen kann. Wir sprechen da mittlerweile von circa 120 Milliarden Euro. Wenn gestresste und unzufriedene Mitarbeiter zur Arbeit gehen, ja, das wird einfach auch sehr teuer für die Unternehmen.
Jetzt war ihre Frage, was können wir da tun, was sind Lösungen? Erstmal gebe ich Ihnen 3 Gründe, warum das so kommt, die ich in meiner Arbeit als Business Coach kennengelernt habe:Eine zweite Übung. Heißt „im Moment zu sein“. Das kann bedeuten, dass ich mich mal hinsetze und ganz bewusst atme. Kann heißen, ich setz mich ans Lagerfeuer oder gehe eine Stunde joggen. Wichtig ist, dass wir es schaffen, Spannung rauszunehmen, also Monotonie hinzubekommen und Monotonie hat nichts damit zu tun hat, das etwas langweilig ist, sondern dass etwas im Fluss ist, dass etwas ohne Spannung da ist. Ich mach das auch ganz gerne in Führungskräftetrainings. Dass sich jeder erstmal dessen bewusst macht und dass wir dann nochmal in den Wald gehen und einfach mal nur 10 Minuten spazieren. Und die Gedanken stoppen, indem wir etwas Monotones tun, und viele können das gar nicht aushalten. Da reichen schon 2 Minuten, da flippen die ganz aus, weil sie es nicht gewohnt sind, weil eigentlich brauch ich sofort mein Smartphone, muss wieder was checken, muss in meinen PC was eingeben. Wir haben uns alle einfach sehr stark dazu hintreiben lassen, ständig etwas zu tun.
Und das Dritte, was ich empfehlen kann, nennt sich „Waldbaden“. In Japan ist das schon längst ein großer Bestandteil zum Aufbau und Erhalt des Immunsystems, japanische Ärzte verschreiben das regelmäßig. Wir wissen, dass, wenn ich mal 20 Minuten alle 2 Tage im Wald spazieren gehe, reguliert sich die Atmung, der Puls und der Blutdruck senkt sich. Es ist Gedankenstille auch oft da. Und das einfach mal sich anzutrainieren im Wald zu baden, einfach mal in den Wald zu gehen, zu spazieren, nichts zu tun und mal zu gucken, was passiert und Sie werden merken, dass Sie nach ein paar Minuten ruhiger werden. Ja, und das es Ihnen danach besser geht, als vor der stressigen Phase.
Tipps
Das sind schon mal ein paar sehr wertvolle Tipps für die Arbeitgeber, die auf jeden Fall viel zu einem stressfreien Arbeiten beitragen könnten. Nochmal allgemein: Haben Sie vielleicht ein paar Entspannungstechniken, die sie unseren Lesern einmal ans Herz legen könnten?
Gerne, auf jeden Fall.
Also eine Entspannungstechnik, die so ein bisschen Zeit braucht, die ich aber ganz gern ansprechen möchte, weil sie sehr nachhaltig ist, hat auch wieder etwas mit unseren Gedanken zu tun. Denn wir wissen ja, unsere Gedanken bestimmen letztendlich unser Verhalten, ja, unser Verhalten bestimmt unsere Zukunft und sich wirklich mal die Zeit zu nehmen, sich am Wochenende hinzusetzen und sich mal aufzuschreiben „was denke ich negativ über mich, über die anderen, meinen Chef usw. und meine Mitarbeiter, Kollegen, Kolleginnen und was denkst du über die Welt?“ Und dann überlegt man sich, ob diese Gedanken überhaupt stimmen. Ist es tatsächlich so, dass ich beispielsweise keine Zeit habe? Dann überlegt man, was es mit einem macht den ganzen Tag daran zu denken, dass man keine Zeit hat und dann schaut man, ob man das umdeuten kann, sodass ich den Glaubenssatz umformulieren kann in etwas Positives, das ich dennoch glauben kann. Als schönes Beispiel oder Umleitung könnte es heißen: Ok, ich darf mir Zeit nehmen. Immer, wenn Sie diesen Gedanken denken „ich habe keine Zeit“: Anhalten, hinschauen und diesen neuen Gedanken wieder manifestieren und einfach neu denken, das hat eine ganz starke Wirkung darauf, dass sich über lange Zeit unser Stress Level reduziert.
Vielleicht so 3 Tipps, die ich damit an die Hand geben kann: Das Erste ist wirklich mentales Training zu betreiben, und wenn wir Menschen merken, dass wir gerade in Stresssituationen geraten, gibt es einen 3 Schritte Plan, den ich immer nenne „Stop. Feel. Act.“ Also, sobald ich merke, dass ich in Stress verfalle, anzuhalten, ganz egal ob ich jetzt grad in einem Meeting mit meinem Chef sitze, ob ich in einem Gespräch bin, ob ich in einem Stau bin, wenn ich merke, es ändert sich bei mir was zum Negativen, anzuhalten. Das kann sein, dass ich beim Meeting rausgehe. Ich nenne das auch immer ganz lustig Klo-Meditation, mal eben auf die Toilette und kurz einen Break machen. Dann hinzuschauen, denn wir denken am Tag zwischen 60- und 90.000 Gedanken und 90% davon sind immer wieder die gleichen wie gestern, das heißt da auch mal dieses Einfühlen anwenden. Was denke ich gerade und was fühle ich gerade? Und wenn ich mir dessen bewusst bin, dann erst zu handeln, in die Veränderungen zu gehen, wieder ins Meeting zurückzugehen und mit klarem Kopf dann wirklich das Meeting weiterführen zu können. Das ist so die erste Technik, die ich mit an die Hand geben kann. Das Zweite ist, wir nennen das mittlerweile „Digital Detox“, also Distanz zu bekommen, das geht so ein bisschen weiter hinaus. Viele sagen dann, ich mache jetzt mal eine Woche ohne mein Smartphone Handy. Es macht Sinn, sich aber wirklich freie Zeit über den Tag einzurichten, also Zeiten, wo man mal nicht am Telefon ist. Zeiten, wo man auch mal Outlook oder Meetings mal wegschiebt, damit wir wieder in so einen Flow Zustand kommen.
Das kommt auch aus dem amerikanischen. Wir werden bei jedem Piepen und Blinken, was auf unseren Bildschirmen erscheint, aus unserer Kreativität gerissen und Flow Zustand meint, dass wir es wieder schaffen, in einen Zustand zu kommen, in dem wir ungestört kreativ arbeiten können. Wir sind hier weder unter- noch überfordert und kennen uns darin aus. Beispielsweise Menschen aus dem Hochleistungssport, die nach ein paar Minuten in den Flow Zustand kommen, in dem sie 100 Prozent leistungsfähig sind.
Das Dritte, was ich noch mitgeben kann: Wenn wir morgens im Bett liegen, können Sie sich gerne mal beobachten, dann wachen wir auf und denken, dass wir schnell aufstehen müssen. Man denkt: Ich habe einen stressigen Tag, ich muss mein Kind zur Arbeit fahren. Ich muss noch schnell was vorbereiten und was kann man da tun? Man kann sich das nachher bewusst machen und dann zweitens auch mal Abhilfe verschaffen, indem man sich aufschreibt: Was möchte ich denn stattdessen denken? Und diese Gedanken sich einzutrainieren, zu ersetzen, als Beispiel zu sagen ich bin dankbar für den neuen Tag oder ich gestalte mein Tag heute kraftvoll, das Leben ist ein Geschenk und das wirklich sich anzutrainieren, neu zu denken. Wir wissen, dass die Macht der Wiederholung ein Erfolgserlebnis hervorrufen kann. Also es ist natürlich auch eine gewisse Trainingssache, die dahintersteckt und ja gerne einfach mal ausprobieren.