Einstieg
Im Rahmen unserer Interview-Reihe „Entspannen wie die Profis“ sprechen wir heute mit Roger Straub. Er ist ausgebildeter Heilpraktiker und beschäftigt sich schon lange mit dem Phänomen Stress und wie es sich auf den Menschen auswirkt. Herzlich Willkommen Herr Straub, möchten Sie sich erstmal selbst kurz vorstellen?
Ja, vielen Dank, mache ich gerne. Ich komme aus der Schweiz, lebe aber seit über 30 Jahren in Deutschland und bin in meiner Rolle als Informatiker immer wieder unterwegs. Daneben habe ich meinen festen Alltag durch die Psychotherapie und habe eine Ausbildung als MBSR-Trainer(„mindfulness-based stress reduction“). Ich trainiere darüber hinaus, wenn das gewünscht ist, auch Achtsamkeit in Firmen und sonst im privatem Kontext.
Danke für die Vorstellung. Herr Straub, Sie bieten im Rahmen eines Coaching-Vorgesprächs eine „HRV-Stressmessung“ an. Was kann ich mir darunter vorstellen und wie kann man denn Stress überhaupt wissenschaftlich erfassen?
Ja, das ist eine sehr schöne Frage, vielen Dank dafür. Die HRV-Messung biete ich im Vorgespräch an für diejenigen, die vielleicht einfach sehen wollen, was es denn überhaupt bringt, wenn sie einen Achtsamkeitskurs machen. Dieser Kurs kann vielleicht Wochen dauern und dann können die Personen die Vor-, Zwischen- und Nachmessung vergleichen. Die HRV ist teilweise ein bisschen träge, sodass man nicht ganz so viel sehen kann, aber man sieht auf jeden Fall, dass eine kleine Veränderung möglich ist. Die HRV-Messung ist nichts Neues, diese gibt es schon seit den 60er Jahren. Sie wurde in der Geburtsmedizin eingeführt und wurde dann um die Jahrtausendwende rum für den Spitzensport entdeckt. Sie ist gewissermaßen eine Geheimwaffe, um zu sehen, dass Spitzensportler unter Stress nicht ihre volle Leistung bringen können.
Dann hat man einfach gesagt: „Du musst auf der Wartebank sitzen bleiben, du kannst nicht mittrainieren und du spielst auch nicht mit, wenn dein Stresslevel zu hoch ist.“ Darum haben auch fast alle Vereine eine HRV-Messung in ihrer Sportler*innen-Betreuung, um zu schauen, wie ihre Spieler*innen oder Sportler*innen sich fühlen. Sie können hiermit relativ einfach und sicher feststellen, ob sie in der Lage sind, Höchstleistung zu bringen.
Folgen von anhaltendem Stress
Sie haben jetzt gerade Sportler als Ausganspunkt dieser Messung in Ihrer Antwort erwähnt. Aber wir kennen das ja auch irgendwie alle, dass wir wegen eines vollen Terminkalenders oder einem großen Arbeitspensum unter Druck stehen. Ist denn jede Art von Stress schädlich für den Körper? Und was macht anhaltender Stress mit uns?
Das ist natürlich bei jedem individuell, aber man kann auf jeden Fall grundlegend sagen, dass andauernder Stress schlecht für die Gesundheit ist. Man kann sich das sehr gut folgendermaßen vorstellen: Sie machen eine Faust und ziehen diese lange genug fest an; dann werden die Finger irgendwann weiß und die Durchblutung ist nur noch geringfügig da. Wenn Sie sich jetzt vorstellen, Sie würden so sitzen bleiben, während Ihres acht- oder zehn-stündigen Arbeitstags, dann weiß man einfach, dass es schnell schmerzhaft wird. Das Loslassen hingegen ist eigentlich relativ schnell gemacht und darum ist es sehr wichtig, zwischendurch mal loszulassen. Das heißt: Stress per se ist nicht schlecht, aber andauernder Stress ist definitiv schlecht für unsere Gesundheit.
Achtsamkeit als Antwort auf den Stress
Stress kann ja durch viele Sachen ausgelöst werden. Auf Ihrer Webseite nennen sie mehrere Gründe für Veränderungen im eigenen Leben, sowohl positive wie zum Beispiel die Gründung einer Familie oder auch eben negative, wie der Verlust des Arbeitsplatzes. Wie genau kann mir denn Achtsamkeit und achtsamkeitsbasiertes Denken dabei helfen, mit Veränderungen und Stress umzugehen?
Sie sagen es selbst: Das sind erstmal nur Veränderungen, das heißt, es können auch positive Veränderungen sein, aber der Mensch ist einfach so gebaut, dass er alles, was er noch nicht genau kennt, mit einem gewissen Widerstand begegnet. Genau das gilt es zu beobachten, um dann zu bemerken, wenn man gerade im Widerstand ist – entweder weil man nicht sicher ist wegen seiner Zukunft oder weil man etwas erwartet (oder jemand erwartet etwas von mir), das einen dann auch wiederum unter Stress setzt.
Das ist dann eben auch ein Stressfaktor und das zeigt uns, dass unser Körper genauso reagiert wie früher in der Steinzeit. Im Grunde wird also alles mit einer gewissen Gefahr gesehen, wodurch auch jede Veränderung automatisch mit Gefahr verbunden ist. In unserer Reaktion gehen wir dabei unbewusst in drei Mustern vor:
- Wir flüchten.
- Wir kämpfen.
- Wir frieren ein/ stellen uns tot.
Diese drei Muster sind zwar verankert, aber sie sind selbstverständlich in der heutigen Arbeitspraxis nicht mehr unbedingt sinnvoll, denn man kann nicht auf seinen Chef losgehen oder sich totstellen. Das sind nun einmal Sachen, die in uns drin sind und man kann sich das auch gut vorstellen wie die eben beschriebene Hand. Wenn sie angezogen ist, ist die Durchblutung nicht vorhanden. Ebenso haben wir eine Anspannung im Körper, die uns nicht loslässt, die sich aber zwischendurch lösen muss. Sonst kriegen wir Anspannungen in den Schultern, wir haben Kopfschmerzen und dadurch kriegen wir wiederum Nackenverspannungen, einen verkrampften Bauchbereich, eine schlechte Verdauung – das ist natürlich alles nicht unbedingt förderlich für die Gesundheit.
Tatsächlich ist Stress dann auch ein Punkt, an dem unser Körper sich nicht mehr regeneriert. Das heißt, längerer Stress bewirkt, dass unser Körper sich nicht regenerieren kann und wir keinen guten Schlaf finden. Wir riskieren natürlich immense gesundheitliche Folgen, wenn wir nicht mehr gut schlafen können, wenn die Verdauung nicht mehr gut funktioniert und wir dadurch die Nährstoffe nicht mehr aufnehmen können: Das hat dann alles eine Auswirkung auf unser Wohlbefinden.
Tipps
Sie haben jetzt einige Vorteile von Achtsamkeit aufgezählt. Jetzt zum Schluss angenommen, wir haben Zuhörer*innen, die selbst unter Stress leiden, aber vollkommene Neulinge im Bereich Achtsamkeit sind. Was würden Sie sagen: Wo könnten sie anfangen, um sich in das Thema einzuarbeiten?
Als MBSR-Trainer sage ich natürlich: Ein Achtsamkeitstraining kann ich nur empfehlen. Das ist eigentlich überall gleich aufgebaut und einfach eine großartige Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen.
Leider kriegen wir, wenn wir auf die Welt kommen, keine Gebrauchsanleitung für unseren Körper mit. Achtsamkeitstraining ist hier einfach eine Chance, sich selbst und den eigenen Körper besser kennenzulernen. Dazu gehört, die eigenen Grenzen zu kennen und vielleicht auch zu bemerken, dass alles was bei uns im Kopf läuft, der ganz eigene Film, teilweise gar nicht so wahr ist, wie wir denken. Mit dem Achtsamkeitstraining lernen wir, das einfach infrage zu stellen und einen gewissen Abstand zu kriegen zu dem, was wir erleben, um dadurch Klarheit zu schaffen.
Wenn man jetzt keine Kurse besuchen möchte, aus zeitlichen oder anderen Gründen, dann ist der der wichtigste Punkt, den ich mitgeben kann: Ab und an mal innehalten; einfach immer wieder bewusste Pausen schaffen. Nicht Pausen, wo wir dann am Handy sind oder mit anderen Informationen gefüllt werden, sondern im Grunde einfach diese Momente, wo einfach nichts stattfindet. Tatsächlich fällt es vielen Leuten schwer, einfach mal nichts zu tun. Gleichzeitig ist es wie so ein Nachhausekommen, wenn die Leute bemerken: „Ich bin ja bei mir und ich fühle mich doch relativ gut und ich kann mich spüren.“ Ich glaube es geht einfach darum, sich selbst wieder zu spüren, sich zu erleben und eine gewisse Verantwortung für sein Leben zu übernehmen.
Es ist tatsächlich ein menschlicheres Erleben auch des Umfelds, welches viele Menschen nach einem MBSR-Kurs als freundlicher wahrnehmen. Das passiert rein durch die Haltung, die wir selbst an den Tag legen. Diese Haltung lässt uns einfach unser Umfeld ein bisschen schöner wahrnehmen und sorgt dafür, dass wir wieder Freude am Leben kriegen und uns leichter fühlen.
Vielen Dank
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses Gespräch und uns ein bisschen über Stress und die Möglichkeiten, damit umzugehen, aufgeklärt haben.
Ja, vielen Dank.