Einstieg
Hallo Frau Gaffri, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, um uns als Experte zum Thema “Familie” ein paar Fragen zu beantworten. Sie sind ausgebildete Trainerin und arbeiten als Personal- und Business-Coach. Dabei haben Sie durchaus einen Schwerpunkt auf Personen, die trotz Kinderwunsch und Geburt ein erfolgreiches und produktives Berufsleben führen möchten. Diese Personen müssen meistens eine außerordentliche hohe Menge an Flexibilität und Einfallsreichtum beweisen, was sich augenscheinlich auch auf Sie und Ihre Coaching Arbeit überträgt.
Viele Coaches bieten nämlich ihre Beratung online oder in ihren Geschäftsräumen an. Sie hingegen überlassen die Wahl des Beratungsortes Ihren Kunden, egal ob beim Sport, im Büro oder zuhause. Was ist der Grund für Ihre Flexibilität in der Hinsicht? Sind Menschen grundlegend entspannter und offener in ihren eigenen vier Wänden und steigert das die Effektivität eines Coachings?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich wohler fühlen, wenn Ihnen die Umgebung zusagt oder wenn sie Dinge machen, die ihnen Freude bereiten. In der Regel haben wir alle wenig Zeit; warum dann nicht das Nützliche mit dem Notwendigen verbinden und zum Beispiel Gassi gehen und nebenbei Coaching Themen besprechen?
Mir selbst geht es so, dass ich die besten Gespräche beim Spazieren gehen führe. Klienten fühlen sich beispielsweise im Gehen nicht die ganze Zeit beobachtet und können ihre Gedanken und Worte einfach fließen lassen. Bei einer Runde durch den Park bestimmt der Klient das Tempo – sowohl beim Laufen als auch bei der Erarbeitung des Coaching Anliegens. Das ist absolut selbstbestimmt, gefällt mir sehr und ist meiner Erfahrung nach mindestens genauso effektiv wie das klassische Coaching Setting.
Ihre Coaching Arbeit
Es wird bereits hier schnell deutlich: Sie agieren in Ihrer Arbeit sehr frei und vertreten den Grundsatz, dass die Menschen ihre ganz eigene, individuelle Lösung finden müssen. Würden Sie sagen, dass grundsätzlich jeder Mensch die Handwerkszeuge hat, eigenständig zu sein und sich selbst zu helfen? Ist Ihr Coaching vor allem ein Mittel, um den Leuten zu zeigen, wo sie diese Handwerkszeuge finden können bzw. ihnen diese in die Hand zu geben?
Absolut. Jeder von uns muss seinen eigenen Weg gehen. Ratschläge sind nett, bringen langfristig jedoch nichts, wenn sie nicht meinem Wesen entsprechen. Wie oft haben wir schon gehört, dass wir den Job aufgeben, die Beziehung beenden oder netter zu der nervigen Schwiegermutter sein sollen? Das Problem dabei ist, dass andere uns etwas „überstülpen“ wollen, was nicht zu uns passt. Coaching ist eine wunderbare und effektive Methode, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich bin der Meinung, dass jeder von uns einen anderen Weg beschreiten muss, um erfolgreich zu sein. Coaching hilft, diesen Weg, meinen eigenen und damit einzig wahren Weg, zu finden und in meinem Tempo zu beschreiten.
Ihre Beratung ist sehr zielführend, wenn Ihre Kunden wissen, wohin der Weg gehen soll, aber sich nicht im Klaren darüber sind, wie sie ihn beschreiten. Was glauben Sie, warum Menschen oftmals wissen, was sie brauchen oder nicht mehr wollen und dennoch Schwierigkeiten haben, dies umzusetzen?
Wer kennt das nicht? Ich weiß genau, dass Rauchen mir nicht guttut und kann trotzdem nicht damit aufhören. Ich weiß, dass ich von Schokolade noch dicker werde und mein Glück nur von kurzer Dauer ist, und esse sie trotzdem. Die einfache Antwort lautet, dass Disziplin und „mich immer richtig verhalten“ anstrengend sind. Es hilft einfach, nicht damit alleine zu sein und einen Sparringspartner zu haben. Wenn ich mein Vorhaben mit jemandem teile, wird es greifbarer. Es wird echt und ich muss jetzt auch wirklich was dafür tun. Ich denke, dass Menschen oft einen Anreiz benötigen. Die Menschen, die Geld in Coaching investieren, wollen wirklich etwas ändern. Oft schlummern da schon konkrete Vorstellungen, aber der letzte Impuls fehlt. Ich bin dafür da, die richtigen Impulse zu setzen und die Veränderung greifbar und damit erlebbar zu machen.
Demnach braucht es einfach manchmal einen freundschaftlichen Schubser in die richtige Richtung, um eine Veränderung in Gang zu setzen. Wie genau kann ein Coaching den Menschen dabei helfen, endlich Bewegung in ihr Leben zu bekommen? Was ist Ihr persönlicher Ansatz in Ihrer Arbeit?
Ich stelle beim Coaching viele Fragen und bewerte nicht, was ich da höre. Meinen Klienten geht oft sprichwörtlich während einer Coaching Sitzung ein Licht auf und sie wissen, was sie möchten und wie sie es schaffen können. Ich kann nicht zaubern. Ich kann nicht dafür sorgen, dass etwas ab morgen grundlegend anders ist oder dass sich Menschen komplett anders verhalten. Ich kann meinen Klienten zuhören und die richtigen Fragen stellen und genau das ist der Job, den ich sehr gerne mache.
Mein Ansatz ist, dass wir 60 Minuten haben und diese jedes Mal neu und erfrischend füllen. Keine Sitzung ist wie die andere. Es ist ein Mix aus Interventionen des Systemischen Coachings, die spontan auf die Situation und den Klienten abgestimmt werden.
Einklang zwischen Berufsleben und Familiennachwuchs
Neben der Arbeit an persönlichen Schwierigkeiten coachen Sie vor allem auch Menschen rund um das Thema Familie und Arbeit. Worauf sollten werdende Eltern Ihrer Meinung nach achten, wenn es um ihre berufliche Zukunft geht? Welche Schritte können sie von Anfang an unternehmen, um sich auf ein Gleichgewicht zwischen Familienwachstum und Karrierefortführung vorzubereiten?
Die einen lesen Ratgeber, die anderen lassen das mit dem Kind entspannt auf sich zukommen. Wichtig ist zu wissen, dass Familienzuwachs Veränderung bedeutet und man sich nicht zu 100 % darauf vorbereiten kann. Wenn Nachwuchs ansteht, sollte man als Familie gemeinsam überlegen, wie der optimale Plan aussieht. Wer ist wie lange in Elternzeit? Wer bleibt zu Hause, wer geht arbeiten, welches Modell ist das Beste für die Familie?
Eine Lösung, mit der sich alle wohl fühlen, muss her und das ist die große Herausforderung. Ich glaube, dass es gut ist, mal für eine Weile loszulassen. Sie sollten sich überlegen, was Karriere für Sie bedeutet und warum Sie sich für ein Kind entschieden haben. Man kann beides miteinander kombinieren. Dafür sind Kommunikation, Transparenz und ein langer Atem erforderlich.
Das Kind ist da, die ersten Monate sind glücklich überstanden und der innere Wunsch wieder dem eigenen Beruf nachzukommen wird immer lauter. Spätestens jetzt zahlt sich eine gute Kommunikation mit seinem/seiner Partner*in und ein wohlüberlegter Plan aus. Ein berühmtes Sprichwort besagt jedoch: ‘Das Leben ist das, was passiert, während du Pläne machst’. Welche Schwierigkeiten gibt es Ihrer Erfahrung nach beim Wiedereinstieg in den Beruf? Sehen sich Väter und Mütter tendenziell den gleichen Problemen gegenüber?
Meiner Erfahrung nach sind es oft die Mütter, die Schwierigkeiten haben, wieder voll einzusteigen. Das hängt in erster Linie mit der Biologie zusammen. Wenn eine Frau stillt, sind Mutter und Kind untrennbar miteinander verbunden. Wenn die Frau dann nach 8 Monaten wieder arbeiten möchte, das Kind aber noch nicht abgestillt ist, wird es interessant. Kindern geht es in der Regel gut, wenn es den Eltern gut geht. Wenn beide Elternteile also in Vollzeit arbeiten wollen und damit glücklich sind, wird das Kind ebenfalls zufrieden sein. Nichtsdestotrotz ist der Wiedereinstieg nach längerer Elternzeit eine große Herausforderung. Die Welt dreht sich weiter. Bei der Arbeit sind vielleicht neue Prozesse und Systeme entstanden.
Nun gilt es wieder, seinen Platz zu finden und sich harmonisch einzufügen. Generell haben Mütter und Väter die gleichen Voraussetzungen, wenn sie ähnlich lange Elternzeit nehmen. In der Praxis sind es oft die Mütter, die lange mit den Kindern zu Hause bleiben und Kind vor Karriere stellen. Demnach haben es die Mütter eben oft auch etwas schwerer. Ratsam ist es, frühzeitig mit der Führungskraft über mögliche Wiedereinstiegsszenarien nach der Elternzeit zu sprechen. Transparenz schafft Vertrauen. Nicht nur innerhalb der Familie, sondern auch im beruflichen Umfeld.
Das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit
Es ist also besonders durch das Familienleben eine Herausforderung, das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bereichen seines Lebens zu finden. Das Schlagwort „Work-Life-Balance“ gewinnt deshalb nicht weiter verwunderlich immer mehr an Bedeutung. Es ist ein wichtiges Konzept für jede*n Arbeitnehmer*in aber besonders für Eltern, die sich auch in ihrem Privatleben einer großen Verantwortung gegenübersehen. Gibt es bewährte Möglichkeiten, wie man die Arbeit von seiner Freizeit trennt? Wie können die Menschen den Stress und die Belastung des einen Bereichs so verarbeiten, dass sie ihn nicht mit in den anderen nehmen?
Ein gutes Mittel ist Abgrenzung. Das bedeutet, dass ich auf meinem Heimweg sprichwörtlich „runterfahre“, vielleicht noch einmal die letzten Arbeitsthemen durchdenke und dass ich wirklich auch gedanklich zu Hause bin, wenn ich eben in Persona zu Hause bin. Man kann Rituale einführen, die einem helfen, wie, z.B., wenn ich den Haustürschlüssel zur Hand nehme, sage ich mir fünfmal laut: „Ich bin jetzt zu Hause und für meine Familie da“. Wichtig ist hierbei, nicht mit Negationen zu arbeiten. Also nicht zu sagen, was ich nicht möchte, sondern das Vorhaben positiv zu formulieren. In Zeiten des Home-Office hilft es, den Arbeitsbereich und den Familien-Wohlfühlbereich komplett zu trennen. Wenn ich permanent meinen Rechner sehe, komme ich vielleicht in Versuchung, mich nochmal eben schnell ran zu setzen und dann sind am Ende des Tages aus 8 Stunden Arbeit locker 10 geworden.
Beim mobilen Arbeiten ist es auch hilfreich, Arbeitskleidung zu tragen, sich also so anzuziehen, wie man es im Büro machen würde. Wenn ich den Schlips dann abnehme (das kann auch ein Ritual vor der Haustür werden), bin ich im Familien-Modus. Umgang mit Belastung und Stress sieht bei jedem anders aus. Viel hilft es zu reflektieren, zu beobachten und einfach im Moment zu sein. Wer seine Resilienz stärkt, sorgt gleichzeitig für seine Work-Life-Balance.
Tipps
Sie haben jetzt bereits einige sehr wertvolle Tipps abgegeben, um eine gute Balance zwischen meiner Arbeit und meinem Privatleben zu finden. Für all die Leser*innen, die darüber hinaus auch die ein oder andere Sache im Kopf haben, die sie gerne umsetzen würden, aber denen bisher der Mut/ die Überzeugung gefehlt hat: Haben Sie Tipps, wie man auch allein und in seinen eigenen vier Wänden über seinen Schatten springen und erste Veränderungen auf den Weg bringen kann?
Zunächst einmal kann man alles aufschreiben, was man verändern möchte. Einfach alles einmal unsortiert zu Papier bringen und die Worte ohne Bewertung fließen lassen. Irgendwann habe ich meine Liste und prüfe, was davon ich wirklich will. Wahrscheinlich werden dann einige Dinge hinten runterfallen und das ist völlig in Ordnung. Nur was ich wirklich ändern möchte, wird erfolgreich von mir angegangen. Als nächstes muss ich mir überlegen, warum ich das erreichen will. Wenn ich weiß, was ich davon habe, wird der Veränderungswunsch gestärkt. Mein Wille muss stark sein, um Erfolg zu haben. Und selbst wenn der Wille da ist, wird nicht immer alles sofort klappen. Letztendlich heißt es ausprobieren, scheitern und weitermachen. Und wenn das alles nichts bringt, nutze ich vielleicht mal ein Coaching – nur für mich und weil ich es mir wert bin :-).