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Interview mit Anja Kalisch-Hinz

Zuletzt aktualisiert am 30. September 2022 von vik_admin

(Bio)
Anja Kalisch-Hinz
Schriftzug in Schreibschrift "Just Relax"
Wir untersuchen heute die einzigartigen Herausforderungen, die die Vereinigung von Arbeit und Familie mit sich bringt. Dazu haben wir Anja Kalisch-Hinz im Interview.
Anja Kalisch-Hinz

Einstieg

Hallo Frau Kalisch-Hinz, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, um uns als Experte zum Thema “Familie” ein paar Fragen zu beantworten. Im Zuge Ihrer Arbeit coachen Sie nicht nur Einzelpersonen hinsichtlich ihrer beruflichen und privaten Entwicklung, sondern helfen auch Familien, ein harmonischeres Leben zu führen. Vor all dem haben Sie in Ihrem Leben schon in vielen verschiedenen Bereichen gearbeitet und können eine beachtliche Menge an Weiterbildungen vorweisen.

So findet sich auf Ihrer Website eine ungewöhnliche Auszeichnung – Sie sind zertifizierter „Mindfuck-Coach“. Was genau bedeutet das? Wie und wobei helfen Sie mit dieser Weiterbildung Menschen?

*lach* Ja, die Zertifizierung, die bei Google regelmäßig zu Richtlinien-Verstößen führt. Mindfuck scheint im digitalen Universum ein unzulässiges Wort zu sein. Aber Spaß beiseite, mit Mindfucks sind in diesem Zusammenhang Denk-und Fühlmuster gemeint, mit denen sich Menschen selbst blockieren und sich daran hindern, ihr volles Potenzial auszuleben. Ein Mindfuck-Coaching hilft wirksam Blockaden zu erkennen, diese zu überwinden und eine neue Klarheit auf Situationen zu erlangen.

Sie sprechen hier die Blockaden an, die Menschen sich teilweise selbst errichten. Oftmals ist die einzige Person, die uns im Wege steht nämlich wir selbst. Welche Formen der Selbstblockade erleben Sie immer wieder in Ihrer Arbeit? Warum tendiert der Mensch dazu, sich selbst Steine in den Weg zu legen?

Mangelnder Selbstwert, Katastrophendenken, Misstrauen sich selbst und anderen Gegenüber und das Einhalten von rigiden Regeln gepaart mit einer Menge Druck sind die häufigsten Selbstblockade-Muster in meiner Praxis. Selbstblockaden haben verschiedene Ursachen, die bis auf das Denkmuster früherer Generationen zurückzuverfolgen sind.

Unsere biografischen und familiären Prägungen führen zu einem Blumenstrauß an Selbstblockaden, die unser Denken, Fühlen und Verhalten nachhaltig beeinflussen können. Gute Strategien in der Kindheit können sich im Erwachsenenleben dann plötzlich als hinderlicher Stolperstein entpuppen.

Ihre Arbeit

Zu keiner anderen Epoche der Menschheit hatten wir so viel leicht zugängliches Wissen zur Verfügung wie jetzt. Dennoch fehlen vielen Menschen die Antworten auf ihre Fragen, vor allem wenn es um die Beseitigung der von Ihnen angesprochenen (Selbst-)Blockaden geht. Woran liegt es, dass gerade Familien- und Lebenscoaching immer noch so gefragt ist und inwiefern kann ein Coach die Menschen entlasten und ihnen zu einem entspannteren Leben verhelfen?

Wir haben heutzutage kein Wissensproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Zudem haben sich einige Menschen sehr von ihren eigentlichen Bedürfnissen und Lebenszielen entfernt. Es gibt unterschiedliche Persönlichkeitstypen mit verschiedenen Bedürfnissen, Motiven und Werten; nicht alle haben das Ziel, ein entspannteres Leben zu führen.

Die zunehmende Geschwindigkeit des Lebens führt aber dazu, dass viele Menschen das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren und fremdbestimmt zu sein. Wenn wir nur noch im Hamsterrad vor uns her treten, immer unter Druck stehen mithalten zu müssen oder die Angst haben etwas zu verpassen, dann verhindert das mit Stresshormonen überflutete Gehirn, dass wir die richtigen Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen des Lebens finden. Es ist für mich auch immer wieder faszinierend zu sehen, wie sehr Menschen sich selbst betrügen und die Realität zu ihren eigenen Gunsten verdrehen, um sich besser zu fühlen. Ein Coaching-Gespräch kann dabei helfen die Eigenlügen zu entlarven, Selbstblockaden abzubauen und den Zugang zu den eigenen Bedürfnissen wieder freizulegen. Damit steigt automatisch die Lebenszufriedenheit und das Stresssystem darf auf Entspannung umschalten.

Sie haben eine Weiterbildung im „NLP“ – das Neurolinguistische Programmieren, die Sie in Ihre Arbeit miteinfließen lassen. Was verstehen Sie unter dieser Technik und wie helfen Sie damit Menschen, die mehr aus ihrem Leben machen möchten?

Ich nutze in meinen Coachings sehr gerne Elemente aus dem NLP, wenn es für die Klient*innen und deren Coachingziel nützlich ist. Das Neurolinguistisches Programmieren umfasst ein sehr breites Spektrum, das erklärt, wie Lernen, Emotionen, innere Vorstellungen und Sprache funktioniert und wie sie sich gemeinsam auf Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster von Menschen auswirken.

Das Einsatzgebiet von NLP und seinen Methoden und Kommunikationstechniken ist sehr umfangreich und kann besonders in Coaching- und Therapiesitzungen dienlich eingesetzt werden, um psychische Abläufe im Menschen zu beeinflussen und innere Krisen zu meistern.

Neben vielen anderen Themenbereichen helfen Sie Ihren Kund*innen auch bei dem Wiedereinstieg in den Job. Mit welchen Schwierigkeiten haben besonders Frauen und Mütter zu kämpfen, wenn es um das Verhältnis von Arbeit und Familie in ihrem Leben geht? Wie helfen Sie ihnen im Coaching?

Ein schlechtes Gewissen und Überforderung sind in meinen Sitzungen die größten Herausforderungen. Frauen wollen es gerne allen recht machen und vergessen dabei ihre eigenen Ressourcen im Auge zu behalten. Sie sind geplagt von einem dauerhaften schlechten Gewissen gegenüber ihren Kindern, dem Arbeitgeber und dem Partner. Zeitdruck dominiert dabei den Tagesablauf, Regeneration und Me-Time finden hingegen nur selten Platz. Wenn dann noch ambitionierte Karrierepläne als unbewusste Treiber zum Zuge kommen, ist der Dauerstress vorprogrammiert. Ich bin immer wieder überrascht, wieviel Mütter leisten können und wie präzise sie ihr Kartenhaus zusammengefügt haben, aber meist braucht es nur einen Windstoß und es fällt in sich zusammen, da bei der Planung das Fundament und die Eckpfeiler vergessen wurden. In einem Coaching analysiere ich die individuellen Denk-Fühl- und Verhaltensmuster der Mütter und ihre beruflichen Ziele. Gemeinsam entwickeln wir dann den optimalen Wiedereinstiegsplan in ein selbstbestimmtes und ausbalanciertes Berufsleben.

Sie und Ihre Familie

Das Corona Virus hat auch Ihre Arbeit nicht unberührt gelassen. Aufgrund der aktuellen Lage bieten Sie auch Telefon- und Videocoaching an. Welche besonderen emotionalen und psychischen Herausforderungen hat die nunmehr 2 Jahre andauernde Pandemie für die Menschen mit sich gebracht?

Zu Beginn war es eine Umstellung für mich, Coachings digital durchzuführen. Gerade in der Arbeit mit Menschen kann ein Bildschirm-Coaching das Gespräch vor Ort nicht ersetzen. Die Körpersprache der Klient*innen lässt sich schwieriger über Video dechiffrieren, zudem fehlt mir persönlich die Dynamik und Energie, die in einem Präsenz-Coaching entsteht.

Einige Klient*innen haben sich dann mit mir zum Coaching während eines Spaziergangs getroffen, das war auch eine sehr bereichernde Erfahrung. In den ersten Corona-Monaten haben Menschen hauptsächlich Unterstützung gesucht wegen Erschöpfungszuständen & Burnout, den Umgang mit Ängsten und beruflicher Um-und Neuorientierung.

Sie leben selbst in einer „lehrbuchartigen Patchwork-Familie“. Welche außergewöhnlichen Herausforderungen für das Individuum treten im Kontext einer (Patch-)Work-Familie auf? Wie kann man trotz eines fordernden Umfelds die eigenen Bedürfnisse und Ziele im Auge behalten?

«Mein-Dein-Unsere Kinder», wir leben das moderne Bild einer Patchwork-Familie mit Kindern, die mein Mann und ich in die Beziehung eingebracht haben und einem gemeinsamen Sohn. Es gibt drei Dinge, die wichtig sind: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation und zwar mit allen beteiligten Personen, von den Kindern über die Expartner*in inkl. der Großeltern, wenn es notwendig ist. Kooperation statt Konfrontation ist ein lohnendes Ziel für alle, das natürlich viel Mut und Selbstreflexion von allen verlangt.

Ich persönlich finde ein Patchwork-Leben nicht anstrengender als andere Familienkonstellationen. Rollen, Zuständigkeiten und Bedürfnisse sollten von Anfang an und regelmäßig geklärt werden, dann bleibt auch niemand auf der Strecke. Wir haben einmal am Tag, meist zu einer gemeinsamen Mahlzeit, den «Family-Circle» eingeführt, bei dem jeder sagen darf, was ihn an diesem Tag freut oder ärgert. In den Ferien nutzen wir diese Art der Familienzusammenkunft am Morgen, um zu besprechen, welche Vorstellungen jeder vom anstehenden perfekten Ferientag hat und dann versuchen wir gemeinsam einen Tag zu gestalten, bei dem alle Wünsche erfüllt werden können oder ein zufriedenstellender Kompromiss für alle erreicht wird.

Familien-Patchwork kann eine große Bereicherung für alle Beteiligten sein. Ich bin sehr dankbar für meinen «Bonus-Sohn», der mit seiner großartigen Persönlichkeit und liebevollen Art mein Leben sehr bereichert.

Pandemie und Home-Office

Eine globale Pandemie ist zweifelsohne ein zutiefst negatives Ereignis. Auf Ihrer Website lassen Sie dennoch durchscheinen, dass eine Ausnahmesituation derartigen Ausmaßes auch Chancen mit sich bringen kann. Was, würden Sie sagen, könnten positive, persönliche Entwicklungen sein, die man durch Corona einleiten kann/ muss?

Wir leben in einer Zeit, die durch multiple Krisen wie Klimawandel, Krieg und Pandemien gekennzeichnet ist. Solche besonderen Herausforderungen gefährden die innere Sicherheit eines Menschen und eröffnen zeitgleich neue Räume, in denen persönliche Entwicklung stattfinden kann. Die Pandemie hat alle Lebensbereiche des Menschen getroffen, Werte infrage gestellt und jede*n Betroffene*n an einen persönlichen Wendepunkt geführt.

Jetzt gilt es individuell zu entscheiden: Möchte ich so weiter machen wie bisher oder in einen neuen Lebensabschnitt aufbrechen? Ich denke eine Sache hat uns nicht nur die Pandemie gelehrt: Im Zeitalter der Krisen ist man gut beraten, sich mit dem Thema der eigenen Resilienz auseinanderzusetzen und diese gezielt zu stärken.

Ein Lebensbereich, der durchaus nachhaltig getroffen wurde, ist die Arbeit der Menschen. Auf Ihrer Website erwähnen Sie explizit, dass Sie Menschen dabei helfen Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Was sind Ihre Erfahrungen in der Coaching Arbeit, wenn es um Home-Office in Zusammenhang mit Familie geht? Erleichtert oder erschwert dies die Balance?

Sowohl als auch. Es kommt darauf an, in welchem Alter und Entwicklungsstadium die Kinder zu Hause sind und welcher Tätigkeit die Personen nachgehen. Für alle Eltern mit Kleinkindern und Säuglingen ist die Betreuung der Kinder und gleichzeitiges Arbeiten im Home-Office eher belastend. Für Andere ist die Zeitersparnis durch das Wegfallen der Anfahrt zum Arbeitsplatz ein echter Zuwachs an Lebensqualität.

Wichtig für die Arbeit im Home-Office ist ein gutes Selbstmanagement und -fürsorge mit klaren Abgrenzungen zwischen beruflichen Tätigkeiten und Familienleben. Da Familiendynamiken hoch individuell sind, gibt es kein Patentrezept. In meinen Coaching-Sitzungen schauen wir uns das Familiensystem sehr differenziert an, denn jedes Elternteil hat seine eigene «Mindfuck-Struktur», die für eine gesunden Balance zwischen Beruf und Privatleben hinderlich sein können.

Tipps

Sie haben im Zuge Ihrer Antworten gut aufgeführt, wie schnell Menschen dazu tendieren, sich selbst anzulügen und im Weg zu stehen. Viele leben daher nach dem Motto: „Tu was ich sage, nicht was ich selbst tue“. Dieser berühmte Satz umschreibt passend das Phänomen, dass Menschen oftmals gute Ratschläge geben können, die sie dann bei sich selbst niemals umsetzen. Was würden Sie den Leser*innen raten, die sich gerade in dieser Aussage wiederfinden? Wie können sie von sich allein aus, ihre Blockaden erkennen und anfangen, an ihnen zu arbeiten?

Es gibt viele gute Ratgeber und Online Tools fürs Selbstcoaching, mit denen Erfolge erzielt werden können. Meine Erfahrung ist, das Personen bei echten tiefliegenden Selbstblockaden an die Grenzen des Selbstcoaching kommen. Da wäre meine Empfehlung sich einem Coach anzuvertrauen, um ernstzunehmende Veränderungen herbeizuführen.

Denn im Coaching geht es weniger um gut gemeinte Ratschläge als mehr um eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt. Ich selbst hole mir bei wichtigen Themen meines Lebens und Selbstblockaden Unterstützung von Coaching-Kollegen*innen.

Vielen Dank

Durch Ihre Expertise haben wir herausgefunden, warum es uns so schwer fällt, unsere Stolpersteine zu erkennen und aus dem Weg zu räumen. Besonders die Rolle der Familie und die Möglichkeiten, die ein gutes, familiäres Gefüge bieten kann, sind eine interessante Erkenntnis. Danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

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