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Interview mit Brigitte Kleinhenz

Zuletzt aktualisiert am 30. September 2022 von vik_admin

(Bio)
Schriftzug in Schreibschrift "Just Relax"
Wir sprechen heute darüber, wie wir Arbeitsalltag und Privatleben am besten in Einklang bringen können. Dazu haben wir Brigitte Kleinhenz im Interview.

Einstieg

Hallo Frau Kleinhenz, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, um uns als Experte zum Thema “Familie” ein paar Fragen zu beantworten. Wir wollen heute über Ihre Arbeit sprechen, bei der Sie Menschen helfen, die den Spaß an ihrem Beruf verloren haben und denen die Sinnhaftigkeit in dem fehlt, was Sie tagtäglich für ihren Lebensunterhalt tun. Sie haben sich besonders auf die Arbeit mit Frauen spezialisiert, die im Vergleich zu Männern immer noch vor ganz individuellen Herausforderungen stehen. Ihnen verlangt die Vereinbarung von Arbeit und Privatleben nach wie vor einiges ab.

Generell ist das Gleichgewicht der verschiedenen Lebensbereiche eines Menschen ein interessantes Untersuchungsobjekt. Sie sind systemischer Coach, das heißt, sie analysieren vor allem inter- und intrapersonale Prozesse. Haben wir Menschen eine unterschiedliche Identität bzw. Persönlichkeit, je nachdem ob wir uns im Familien- oder im Arbeitssystem befinden?

Wir nehmen im privaten Bereich und im Berufsleben sehr unterschiedliche Rollen ein. Ich habe eine Klientin, die im Berufsleben sehr ‚straight‘, also geradlinig ist und – sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass sie in einer Männerdomäne arbeitet – auf Männer sehr taff und auf Kolleginnen als Frau mit „Haaren auf den Zähnen“ wirkt.

Im privaten Bereich dagegen, mit Freunden und ihrem Partner, also da, wo sie sich sehr wohl fühlt und sein darf, wie sie ist, ist sie die sanfte Frau, die darauf achtet, dass es allen gut geht.

Von außen betrachtet könnte man also tatsächlich sagen, dass wir unterschiedliche Identitäten verkörpern und in unterschiedlichen Rollen wirken.

Man könnte ja eigentlich davon ausgehen, dass das Arbeitsleben und das Privatleben zwei getrennte Dinge sind. Was passiert jedoch mit mir generell, wenn ich mit meinem Job unzufrieden bin?

Viele Frauen erkennen zunächst nicht, dass sie mit ihrem Job unzufrieden sind. Sie fühlen sich immer öfter gestresst, ihnen geht nichts mehr so richtig von der Hand. Sie machen gefühlt mehr Fehler oder fühlen sich von den anstehenden Aufgaben im Beruf, den Kollegen oder den Forderungen des Chefs genervt. Sie hangeln sich oft von einem Wochenende zum nächsten und sehnen sich nach Urlaub.

Das Problem ist, dass du deinen Unmut aus dem Job mit nach Hause bringst, ohne dass du es willst. Du wirst dünnhäutiger deinem Partner oder den Kindern gegenüber und explodierst schon bei Kleinigkeiten. Du neigst also zu Ungerechtigkeiten und machst dir dadurch selbst das Leben schwer.

Frauen nehmen Unzufriedenheit im Job eine ganze Zeit lang in Kauf und wissen meist nicht, wo sie mit einer Änderung ansetzen sollen. Das ist dann wie ein Wasserstrudel, der sich mehr und mehr dreht und am Ende gesundheitliche Beschwerden auftauchen. Zunächst in Form von Magen- oder Darmbeschwerden, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit, obwohl sie sich total platt und müde fühlen.Wenn die Frau nicht spätestens an dem Punkt selbst die Reißleine zieht, kann es durch das eigene Anspruchsdenken in Richtung Burnout gehen.

Auswirkungen des Jobs auf den Menschen

Es ist also unfassbar schwer, die Emotionen und Erfahrungen aus dem Job nicht in irgendeiner Form mit nach Hause zu nehmen. Wenn man berufstätig ist und Kinder hat, sind die Aufenthaltsorte oftmals begrenzt. Ein Drittel des Tages verbringen wir durchschnittlich im Beruf, der Rest ist zu großen Teilen im häuslichen Umfeld angesiedelt. Welche Rolle hat der Beruf oftmals in der eigenen Wahrnehmung von sich selbst und wie wirkt sich das auf das Zusammenleben in einer Familie aus?

Vor der Pandemie war es größtenteils ein echter Marathonlauf, den hauptsächlich die Mütter unter der Woche absolvieren mussten. Natürlich unterstützen die heutigen Väter, wo sie können, aber durch deren Vollzeitjobs sind sie meist nur am Rande eingebunden.

Während der Lockdowns, als ALLE im Homeoffice waren und parallel noch die Kleinen bespaßt werden mussten oder Homeschooling hatten, wurde vielen Vätern sehr plausibel vor Augen geführt, was ihre Partnerinnen tagtäglich leisten.Von der Warte aus hatten die Zwangs-Auszeiten also auch etwas Positives.

Viele Frauen sehen ihren Job eher als Zubrot zum gemeinsamen Familieneinkommen und machen sich zunächst keine Gedanken, ob sie dabei auch Spaß haben. Geld soll in die Familienkassen fließen, weil die Wohnung oder das Haus abbezahlt, oder für den nächsten Urlaub gespart werden soll. So haben sie es von ihren Eltern und Großeltern gelernt und übernommen.

Dass sich die Frauen damit keinen Gefallen tun, merken sie erst dann, wenn die Beziehung – aus welchen Gründen auch immer – in die Brüche geht und sie mit ihrem Job weder über die Runden kommen noch glücklich sind. Ohne Unterstützung von außen wird es dann echt schwer.

Gerade Frauen befinden sich also oftmals in Berufen, die sie nicht vollkommen zufrieden stellen und in denen sie dadurch unter zusätzlicher psychischer Belastung leiden. Arbeit egal welcher Art bringt jedoch ohnehin immer eine Form von Leistungsdruck und Deadlines mit sich. Gibt es dabei einen Unterschied ganz spezifisch in der Stresswahrnehmung, wenn ich mit meinem Job zufrieden bin oder nicht?

Definitiv. Wenn mir mein Job und die Aufgaben Spaß machen, dann gehe ich sie mit mehr Leichtigkeit an. Dieser positive Stress – auch Eustress genannt – beflügelt dich sogar noch. Er macht dich resilienter, also widerstandsfähiger. Da fühlt es sich auch nicht wie Arbeit an und dein Tag verfliegt nur so. Dann steckst du auch negativen Stress leichter weg.

Negativen Stress hast du dann, wenn du dir zu viel auf einmal zumutest oder auch eine Perfektionistin bist, die alles 120-prozentig machen will, statt mit 80 Prozent zufrieden zu sein.Ein weiteres Beispiel ist: Wenn du nicht nein sagen kannst. Dein Chef kommt mit der nächsten umfangreichen Aufgabe ums Eck. Obwohl du genau weißt, dass du das niemals in der vorgegeben Zeit hinbekommst, sagst du: „Das krieg ich schon irgendwie hin.“ Zack, bist du in deiner Negativspirale.

Und ganz schlimm wird der Stress empfunden, wenn der Job eben keinen Spaß macht. Da wird jede Kleinigkeit an zusätzlichen Aufgaben schon zu viel und zieht dich in eine Negativspirale.

Frauen und ihre Herausforderungen

Wenn man all diese Sachen liest, wundert es nicht, dass Sie ganz spezifisch Frauen auf Ihrem Weg in der Arbeitswelt coachen. Würden Sie sagen, dass Frauen (gerade im Hinblick auf potenziellen Nachwuchs und eine Schwangerschaft) vor besonderen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, Familie und Job unter einen Hut zu bekommen?

Ja, für Frauen ist es immer noch eine Herausforderung, wenn sie Beruf und Familie gerecht werden wollen, aber nicht mehr ganz so gravierend, wie noch vor zwanzig Jahren. Denn die Arbeitswelt hat sich weiterentwickelt. Wichtig ist, dass sich beide Partner gemeinsam im Vorfeld Gedanken machen, wie ihr Berufsleben künftig aussehen soll, wenn der Nachwuchs dann mal da ist.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Generationen Y und Z, also die Geburtsjahrgänge 1981 bis 2010, alternative Sichtweisen, Prioritäten und auch Lebensentwürfe beim Thema Arbeit und Familie mitbringen.

Sie legen viel Wert auf persönliche Entwicklung, haben hervorragende digitale Skills, suchen Sinn und Gestaltungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt und auch Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Durch den immer stärker werdenden Fachkräftemangel müssen sich Arbeitgeber anpassen und werden dadurch flexibler, was den künftigen Eltern zugutekommt.

httpv://www.youtube.com/watch?v=t_6F53Mf8UY

Home-Office

Besonders flexibel für Arbeitnehmer*innen ist dabei das Home-Office. Es war vorher schon vereinzelt vorhanden, aber das Corona Virus hat es wahrhaftig populär gemacht. Beinahe ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland sind mittlerweile im Home-Office tätig. Welche Vorteile bietet das mobile Arbeiten vor allem im Hinblick auf das seelische Wohlbefinden?

Home-Office lässt viele stressfreier in den Arbeitstag starten, da die Fahrten ins Büro wegfallen, sei es mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Und nach einer aktuellen Studie arbeitet jeder zweite im Homeoffice konzentriert und entspannter.

Wenn wir mal eine Beispielrechnung machen: Wenn wir von einer Stunde Fahrzeit ins Büro ausgehen, sind das bei fünf Arbeitstagen pro Arbeitswoche zehn Stunden, die dann zusätzlich für Freizeit zur Verfügung stehen. Diese Zeit kann gut für die eigene Familie oder einen sportlichen Ausgleich zum langen Sitzen genutzt werden. Das wirkt sich elementar auf das seelische Wohlbefinden aus.

Sie haben einige Vorteile genannt, die auf der vergrößerten Flexibilität basieren. Zu viel Freiheit kann jedoch auch manchmal hinderlich sein. Bringt das Arbeiten von Zuhause aus auch negative Seiten mit sich, wenn es um die psychische Gesundheit von Arbeitnehmer*innen geht?

Oh ja, wir Menschen sind nun mal soziale Wesen und ich bekomme immer wieder zu hören, dass das soziale Miteinander im Büro während der Pandemie durch vermehrtes Home-Office schon sehr gefehlt hat und auch jetzt noch fehlt. Die soziale Interaktion, sich in der Kaffeeküche zu einem informellen Plausch zu treffen oder in der Kantine über ein Problem auszutauschen, fällt beim Arbeiten von Zuhause komplett weg.

Auch wenn sich Mitarbeiter online in virtuellen Meetings treffen, ist das nicht das gleiche. Es ist inzwischen wichtig geworden, sich persönlich, sozusagen „live“ zu treffen. Viele Bereiche haben jetzt sogenannte Teamtage eingeführt, an denen alle im Büro sind.

Nicht nur die Isolation und fehlende Interaktion mit den Arbeitskolleg*innen kann sich also problematisch zeigen. Die fehlende räumliche Trennung zwischen Arbeit und Zuhause verwischt darüber hinaus die Grenzen zwischen Anstrengung und Entspannung. Fällt es den Menschen tatsächlich schwerer, sich im Home-Office zu entspannen und den Stress beiseitezuschieben?

Stärker angestiegen ist der Stresslevel definitiv bei Familien. Wenn es einen separaten Arbeitsraum gibt mit einer Türe, die geschlossen werden kann, kannst du Kindern gut vermitteln, dass Papa oder Mama jetzt im Büro sind, arbeiten und die nächsten Stunden nicht gestört werden dürfen.

Wenn das Home-Office aber im Wohnzimmer oder der Küche stattfindet, funktioniert das nicht. In einer Studie gaben 45 Prozent der Frauen und 46 Prozent der Männer in einem Haushalt mit Kindern an, dass das Stresslevel stark bis sehr stark gestiegen ist.Da heißt es nach Feierabend konsequent: Alle Mann raus an die frische Luft und austoben – auch für die Eltern. Damit der Stresspegel wieder sinken kann.

Tipps

Angenommen, ich bin nicht im Home-Office tätig, sondern verbringe einen Großteil meines Tages auf der Arbeit: So vielfältig wie die Berufe sind auch die Standorte, an denen man sie typischerweise ausübt. Das kann im Krankenhaus sein, auf einer Baustelle oder im klassischen Großraumbüro. Gibt es Formen der Stressreduktion und Entspannung, die ich auch während der Arbeit praktizieren kann?

Ganz einfache sogar. Wenn ich morgens schon weiß, dass der Tag stressig wird, packe ich mir eine entsprechende Brotzeit ein: Bananen und Nüsse haben viel Vitamin B und Magnesium. Sie helfen, das eigene Nervensystem zu beruhigen.

Ein kurzer Mittagsspaziergang hilft, den Kopf wieder freizubekommen und wenn dafür keine Zeit ist, lasse ich einige Minuten warmes Wasser über meine Hände und Arme laufen. Damit wird unser Parasympathikus, also unser „Ruhenerv“ beruhigt.

Und für alle, die im Großraumbüro sitzen habe ich noch einen Tipp aus der Schauspielschule, von dem du vielleicht schon gehört hast: Nimm einen Stift quer zwischen den Zähnen in den Mund. Dadurch lächelt dein Gesicht ganz automatisch und die Mundwinkel sind nach oben gezogen. Mach das für eine Minute. So bekommt dein limbisches System das Signal für gute Laune und das Stresshormon Cortisol wird abgebaut.

Für alle Leser*innen, die stattdessen überwiegend im Home-Office tätig sind und ein Gefühl der Imbalance verspüren: Haben Sie einen Tipp, wie sie auch in ihren eigenen vier Wänden ein gesundes Verhältnis zur Arbeit aufrechterhalten? Gibt es Rituale/ Prozesse, die sie durchlaufen können, um auch mal mental abschalten zu können?

Rituale sind wichtig. Ich gebe Ihnen sogar drei Tipps mit:

1. Tipp: Wenn du im Büro arbeitest und nach Hause fährst, wirst du dich in der Regel umziehen. Stimmt’s? Wie machst du es im Homeoffice? Sitzt du den ganzen Tag im Shirt und Jogginghose vor dem Laptop und gehst damit nach Feierabend ins Wohnzimmer? Wie soll dein Kopf da abschalten? Zieh dich im Home-Office so an, als wenn du ins Büro fährst. Und nach Feierabend schlüpfst du in deine Freizeitkleidung.

2. Tipp: Im Büro hast du regelmäßige Pausen. Halte die auch im Homeoffice ein. Stell dir am Handy den Wecker, dann funktioniert es auch zuhause. Pausen sind wichtig für deine Regeneration. Wenn möglich, mach einen kurzen Mittagsspaziergang oder geh mal in den Garten. Frische Luft bläst den Kopf wieder frei.

3. Tipp: Wichtig ist auch die Vorplanung für den nächsten Tag. Was steht morgen an und was ist zu tun? So bekommst du den Kopf frei und kannst leichter abschalten.Und dann wird das Laptop nicht nur runtergefahren, sondern auch in die Laptoptasche verpackt, damit wirklich Feierabend ist.

Vielen Dank

Durch Ihre Expertise haben wir herausgefunden, was die besonderen Herausforderungen des Umgangs mit einer Arbeit ist, die die Menschen nicht zufrieden stellt und wie man trotz einer fehlenden räumlichen Trennung von Arbeit und Privatleben im Home-Office dennoch für mehr Entspannung sorgen kann. Danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

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