Einstieg
Im Rahmen unserer Interview Reihe „Entspannen wie die Profis“ sprechen wir heute mit Christiane Yavuz. Sie ist Diplom Sozialpädagogin und hilft Familien dabei, mit mehr Harmonie und Gelassenheit den Alltag zu meistern. Herzlich Willkommen Frau Yavuz, möchten Sie sich erstmal selbst vorstellen?
Hallo, ja vielen Dank für die Einladung. Ich bin Sozialpädagogin, Familienberaterin, Mediatorin und Coach und begleite Familien dabei, ihre Konflikte im Alltag einfach mit ein bisschen mehr Leichtigkeit und vielleicht sogar Freude als Herausforderung zu sehen. Ich helfe Familien also dabei, ihren Familienalltag möglichst so zu gestalten, dass jeder dabei auf seine Kosten kommt.
Ja, vielen Dank für die Vorstellung. Sie haben es gerade erwähnt: Sie sind zertifizierte Mediatorin. Welche Kompetenzen beinhaltet denn diese Weiterbildung und inwiefern sind sie jetzt genau bei der Familienberatung von Nutzen?
Mich hat an der Kombination aus Mediation und Familienarbeit fasziniert, dass Familien per se immer mit Konflikten zu tun haben, das bleibt einfach nicht aus. Bei der Mediation ist es so, dass wir ganz neutral auf eine Situation gucken und schauen: „Wer hat hier welche Bedürfnisse, wer bringt was mit und wie können wir eine Lösung finden, bei der jeder sein Gesicht bewahren kann?“ Ich könnte jetzt anfangen von den Kompetenzen usw. zu sprechen oder welches Handwerkszeug dazu gehört, aber was für mich das ganz Wesentliche an dieser Kombination ist, ist die grundlegende Haltung, die dahinter liegt. Da geht’s um die Grundprinzipien, die bei einer Mediation gelten, also Eigenverantwortung, Allparteilichkeit, Neutralität, Freiwilligkeit. Die bilden bei mir eben auch die grundlegende Basis für meine Familienarbeit. Bei der Familienbegleitung sind auch noch die Werte wichtig. Ich habe meine Weiterbildung bei „Familylab“ gemacht, wo vor allem diese 4 Grundwerte stark vertreten waren: Integrität, Gleichwürdigkeit, Authentizität und Verantwortung. Das sind jetzt große Worte, aber zu übersetzen, was genau es heißt, diese Werte im Alltag zu leben und wie man es schafft, mit dieser Haltung eben auch Familien zu begleiten: das ist es, was für mich diese unterschiedlichen Bereiche zusammenbringt.
Kommunikation innerhalb der Familie
Hm, je besser ich jemanden verstehe, umso erfolgreicher kann ich ja mit ihm zusammenleben. Gibt es denn grundlegende Tipps, wie ich besser im Familien Kontext kommuniziere oder vielleicht verbindender kommuniziere, sodass das Familienleben entspannter und harmonischer abläuft?
Also ein Tipp 1, Tipp 2, Tipp 3 und so finde ich schwer zu geben. Das wäre schön, wenn es so einfach wäre. Beim Thema Kommunikation ist das aber zu kurz gedacht, denn auch wenn ich mich jetzt ganz lehrbuchartig an alle Tipps halte, dann kommt es auch da einfach ganz stark drauf an, „mit welcher Haltung tu ich das?“ Das ist glaube ich der eine Grundsatz-Tipp, den ich geben kann: Dass ich immer wieder erstmal bei mir selbst nachschaue. Meine Kommunikation, die ich gerade nach außen bringe oder auch in mir selbst durchführe: Bringt die uns in Verbindung oder trennt sie uns voneinander und treibt einen Keil zwischen uns? Bei mir war oder ist da auch die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg DER Game-Changer, wenn es um Kommunikation zwischen Menschen an sich geht und auch ganz stark auf die Familie bezogen.
Als Methode oder als Tipp zu beschreiben, sondern ist auch hier wieder eine Haltung, die zur Verbesserung des zwischenmenschlichen Miteinanders beiträgt. Sich damit zu beschäftigen, lohnt sich total, wenn man wirklich Lust hat auf gelingende Herzenskommunikation in der Familie. Bei der GFK (Gewaltfreie Kommunikation) wird auch diese Trennung vorgenommen, also dass man zwischen gewaltvoller und gewaltfreier Sprache unterscheidet, also trennende oder verbindende Sprache. Strafe, Drohungen – All diese Eigenschaften trennen uns voneinander in der Kommunikation und umgekehrt gehört zu der verbindenden Sprache erstmal wertfreies Beobachten oder auch Bedürfnisse erkennen und konkrete Bitten an den anderen zu stellen und den anderen nicht im Ungewissen zu lassen.
Beziehungsbrille
Manchmal ist man so in einer Sache verstrickt, dass man den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Um zu erkennen, was wirklich wichtig ist, nutzen Sie in Ihrem Coaching gerne ihr Lieblingstool: die Beziehungsbrille. Was kann man sich darunter vorstellen und wie hilft Sie ihnen bei der Beratung von Familien?
Ich ermutige Eltern meistens dazu, dass sie erstmal alle Situationen, mit denen sie wie auch immer jetzt gerade herausgefordert sind, durch die „Beziehungsbrille“ zu beobachten. Also zum Beispiel die Autonomiephase eines Dreijährigen oder die Aggressivität einer fünfjährigen Tochter oder der emotionale Rückzug eines 13-Jährigen. Ich nehme das bildlich wirklich als Tool, also, dass diese Brille alles Nebensächliche ausblendet und wirklich nur die aktuelle Qualität der Beziehung zwischen mir und meinem Kind in den Fokus nimmt. Also sich fragen, sind wir aktuell in echter Verbindung? Vertrauen wir uns gerade, weiß ich, was mein Kind aktuell beschäftigt? Hab ich grad wirklich einen Draht zu meinem Kind, sehe ich, wie es ist? Manchmal liegen da ja auch irgendwelche verzerrenden Filter über meinem Blick, durch Druck aus der Schule oder dem Umfeld oder auch durch eigene Wunschgedanken. Und da wirklich alles rauszulassen und sich nur darauf zu konzentrieren: Wie ist unsere Beziehung gerade? Daraus folgen dann Baustellen, die es zu bearbeiten gilt.
Und genau darin liegt dann meiner Erfahrung nach der zentrale Schlüssel für eine Entspannung vieler Familienprobleme; also, wenn ich mich erstmal wirklich nur auf die Beziehung zwischen mir und meinem Kind konzentriere, dann ergibt sich daraus, an welcher Stellschraube ich drehen kann, um wieder in echte Verbindung zu kommen. Und ganz oft gehört dann vor allem auch die Frage dazu, was brauch ich denn gerade selbst, um mich verantwortungsvoll um diese Beziehungsqualität zu kümmern. Wenn ich selbst am Limit bin, dann muss ich vielleicht erstmal meine eigenen Kraft Tanks auffüllen, bevor ich wieder mit dem Kind in Beziehung gehen kann. Deswegen gehört dieser innere Check mit sich selbst als erster Schritt auch immer dazu. Was ich noch ganz wichtig finde an dieser Stelle ist, dass gerade in Familiensystemen oder Eltern-Kind-Beziehungen die Verantwortung für diese Beziehungsqualität immer bei uns Erwachsenen liegt und eben nicht beim Kind. Das finde ich eine ganz wichtige Erkenntnis oder Voraussetzung, um das dann auch umzusetzen.
Tipps
Sie haben den Fokus durchaus gerade auch daraufgesetzt, auf das Individuum und dass man so ein bisschen auf sich selbst achten muss und schauen muss, wie es einem selbst geht. Sie sprechen in Ihrem Blog über eine Wechselwirkung von Stress und Kreativität, wobei Kreativität und Flexibilität in Ihren Augen die zwei wichtigsten Faktoren sind, um auch mit einem komplizierten Familienleben souverän umzugehen. Inwiefern blockiert Stress meine Kreativität? Wie können Kreativität und Flexibilität wiederum zu einer Entlastung und sukzessiven Entspannung im familiären Alltag führen?
Wenn ich gestresst bin, dann schaltet mein Gehirn auf Überlebensmodus und ich kann einfach auf gewisse Regionen im Gehirn nicht mehr oder schlechter zugreifen. Dazu gehört eben auch genau die Region, die mich kreativ nach Lösungen suchen lässt oder die mich auch stärker und flexibel sein lässt. Man ist ja dann starr in seinem Stress Tunnel und kommt da erstmal schwer raus. Umgekehrt ist es aber so: im Familien Alltag läuft ja immer alles anders, als man das irgendwie geplant hat, und je flexibler ich dann reagieren kann und je kreativer ich Situationen lösen kann, die vielleicht auch stressig sind, desto umgekehrt entspannter wirkt es sich wieder auf mich aus. Ich schaffe dadurch, eben diese Abwärtsspirale zu unterbrechen und mich daraus wieder zu befreien. Das klingt jetzt vielleicht abstrakt, aber nehmen Sie als Beispiel all die Alltagssituationen, die für Familien ganz oft stressig sind, wie aus dem Haus kommen oder das kleine Kind anziehen und das will grad nicht.
Also all diese Situationen, die immer schwierig sind, gerade wenn man unter Zeitdruck ist; wenn ich die gestresst angehe und nur den Druck im Nacken spüre und auf Teufel komm raus durchsetzen muss oder will, dann werde ich diesen Druck auch an mein Kind weitergeben. Wenn ich aber selbst schaffe, mich aus der Stress Spirale rauszuholen und das vielleicht spielerisch löse oder mich einfach auch mit dem Kind wieder in Verbindung bringe und es schaffe, kreativ zu bleiben, dann komme ich auf ganz andere Lösungen, die ich vielleicht unter Stress gar nicht vor Augen hatte. Dann schaffe ich es solche Situationen in der gleichen Zeit zu lösen, aber ohne, dass hinterher alle schweißgebadet aus dem Haus gehen. Es geht einfach darum, dass man auch versucht, ein bisschen Spaß dabei zu haben.
Eine der wichtigsten Offenbarungen, die Sie im Laufe ihres Lebens erkannten, ist laut Ihnen folgende: „Weder der Genuss noch die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse passieren einfach von selbst. Ich bin dafür verantwortlich. Nichts und niemand anderes.“ Was raten Sie den Leser*innen, die sich von ihrer Situation überfordert fühlen und hinsichtlich ihres stressigen Familienalltags einen Anflug von Ohnmacht verspüren? Welche ersten Schritte können sie unternehmen, um ihre Entspannung und ihre Ausgeglichenheit in die eigene Hand zu nehmen?
Also ich glaube, dass der allererste Schritt- also wenn man wirklich in diesem Rad fest steckt – ist, dass ich zumindest einen kleinen Funken Neugier in mir finde, bezogen auf die Frage: „Was in meinem Leben kann ich denn wirklich beeinflussen?“ Wenn man Antworten auf diese Frage sucht, dann öffnet sich ein Raum an Gestaltungsmöglichkeiten und eben vor allem auch zur Stress Reduktion. Die Fragen, was ich genießen oder ob ich überhaupt genießen kann, oder ob meine Bedürfnisse erfüllt werden – das zu erkennen ist ja der erste Schritt, um dafür dann auch Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube da braucht es erstmal einfach nur einen kleinen Funkten Neugier, das herausfinden zu wollen. Wenn man den findet, dann, habe ich die Erfahrung gemacht, setzt es etwas in Gang, wo eins auf das andere folgt und man immer tiefer einsteigen kann und immer mehr Neugier entwickelt, rauszufinden: „Ja, warum ist das denn überhaupt so? Warum kann ich denn tatsächlich eigentlich gar nicht beeinflussen, wie der andere sich fühlt oder ob mein dreijähriges Kind gerade ein Marmeladenbrot oder was anderes will?“ Das sind Sachen, die kann ich nicht beeinflussen, dann kann ich mich zwar darüber aufregen und kann sagen „ne, das war aber so und so abgemacht“ oder ich kann mich erstmal zurücklehnen und erkennen „okay, das ist jetzt gar nicht mein Einflussbereich.“
Also dafür einen Blick zu kriegen, ob das mein Tanzbereich oder der des anderen ist, und das einschätzen zu können, und seine Energie dann darauf zu fokussieren, was auch wirklich in meinem Einflussbereich liegt. Und da kommt man auf superspannende Ergebnisse, die sich auch wieder stressreduzierend auswirken und man erkennt, dass es so viele Sachen gibt, mit denen ich mich vielleicht bisher ganz oft beschäftigt habe, aber die ich mir einfach nur sparen kann, weil sie eigentlich nicht in meinem Einflussbereich liegen. So nährt sich die Erkenntnis, dass ich mich auf das konzentrieren kann, wofür ich verantwortlich bin. Und das bringt einfach ganz viel Selbstwirksamkeit und Handlungsmöglichkeiten.