Einstieg
Hallo Frau Bamminger, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, um uns als Expertin zum Thema “Familie” ein paar Fragen zu beantworten. Sie beraten Paare, Eltern und Familien generell, wenn es um die erfolgreiche Bewältigung und Strukturierung ihres Alltags geht. Der Hauptfokus Ihrer Arbeit liegt somit darauf, Menschen dabei zu helfen, die verschiedensten Verantwortungen und Herausforderungen in ihrem Leben zu vereinbaren. Dabei lehren Sie diese Kompetenzen nicht nur, sondern müssen Sie auch jeden Tag selbst unter Beweis stellen.
Sie sind nämlich selbständiger Coach, Ehefrau und Mutter dreier Kinder. Wie schaffen Sie persönlich es, alle diese Dinge zu jonglieren und Entspannung in Ihrem Alltag zu finden?
Nicht. Ich schaffe es oft nicht. Der Haushalt bleibt oft liegen, ich hab schon Elternabende verpeilt und ab und zu versinke ich in meiner Arbeit und bin dann nicht ansprechbar. Meine Kinder müssen infolgedessen sehr selbständig sein und auch wenn wir uns streiten, versöhnen wir uns immer wieder. Wir haben eine Putzhilfe, vier Großelternteile im Unruhestand, die uns unter die Arme greifen, ein schier unendliches Netzwerk an Babysittern (was früher Gold wert war) und ich kann auch um Hilfe fragen. Ist schwer, aber geht.
Ja, Vieles läuft hier sehr gut. Und ab und zu ist es auch bei uns richtig schwierig. Nicht alles lässt sich (weg-)organisieren. Wir haben Ressourcen und nutzen sie demütig. Für die anderen Dinge holen wir uns (professionelle) Hilfe. Was ich für ein entspanntes Leben grundsätzlich brauche und daher auch regelmäßig in meinen Alltag integriere, ist folgendes: Bewegung, ganz besonders Yoga. Natur, ganz besonders Berge. Essen, ganz besonders Italienisch. Schlaf, ganz besonders vor Mitternacht.
Es ist also für Sie keine Schande, sondern vollkommen normal und notwendig, sich Hilfe von anderen Menschen zu holen. Nicht umsonst besagt der Volksmund, dass es ‘ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen’. Die Hilfe, die Sie selbst bekommen, stellen Sie aber auch Ihren Kund*innen zur Verfügung: Einer Ihrer vielen Angebote ist das sogenannte „MAMAtelefon“, bei dem Eltern sie rund um die Uhr anrufen können, um konkrete Probleme zu besprechen. Mit welchen Problemen wenden sich Eltern meistens über diesen Weg an Sie? Wie können Sie ihnen kurzfristig helfen?
Die Themen reichen von Einschlafproblemen über Wutanfälle, Beißen und Hauen bis zu problematischem Medienkonsum, je nach Alter der Kinder. Im Grund schaue ich immer darauf, was die Bedürfnisse der Kinder sind, die in der Situation nicht erfüllt sind und was die begleitenden Erwachsenen brauchen. Manchmal sind das konkrete Sätze, die sie verwenden können, oft einfache Maßnahmen zur Aktivierung der Selbstwirksamkeit und ganz oft Hintergrundwissen zur kindlichen Entwicklung und Mindset-Arbeit (geistige Einstellung) mit den Erwachsenen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr so kurze Telefonate die Menschen aufrichten, die da anrufen.
Der Mensch als soziales Wesen
Das MAMAtelefon zeigt also ganz wunderbar, worauf Sie in Familienkontexten und der Arbeit mit ihnen den Fokus legen. In Ihrem Coaching-Konzept glauben Sie an die „Macht der Worte“ und die Vorteile „verbindender Sprache“. Welche Rolle spielt in Ihren Augen Kommunikation für eine harmonische Familie und was genau verstehen Sie unter einer „verbindenden Sprache“?
Kommunikation ist das A und O von gelingenden Beziehungen. Die Sprache ist ein wesentliches Element der Beziehungsgestaltung und prägt die Qualität unserer familiären Bindungen. Nicht nur das Gesagte sondern auch das Ungesagte sind dabei relevant und vor allem auch der Ton, der bekanntlich die Musik macht. Verbindend ist für mich alles, was beziehungsstärkend ist: Wenn ich mich interessiere, zuwende, hinhöre. Harmonie ist immer eine Momentaufnahme. Noch wertvoller ist, wenn es lebendig und menschlich zugeht!
Der Mensch existiert als soziales Wesen in unzähligen gesellschaftlichen Ökosystemen, die nur aufgrund konstruktiver Kommunikation gedeihen und bestehen können. Welchen Einfluss haben dabei die Beziehungen zu anderen und im Besonderen zu der eigenen Familie auf das Individuum?
Sehr kluge und spannende Frage. Meine tiefste Überzeugung ist – und die Neurobiologie kann das beweisen – dass wir zu gelingenden Beziehungen geboren sind. Sie sind unser Antrieb und unsere Motivation. Wie mit uns gesprochen und umgegangen wird, prägt unsere Entwicklung und unsere Persönlichkeit. Ob wir wollen oder nicht: Wir sind Teil eines großen Ganzen. Wir wirken auf unser System und das System wirkt zurück. Dabei sind besonders die frühen Kindheitsjahre von Bedeutung, wo man auch noch ganz und gar abhängig von adäquatem Sozialkontakt, stabilen Bindungen und wohlwollenden Erwachsenen ist.
Mut zur Imperfektion
Für sich selbst und Ihre Coaching-Angebote leben Sie den Grundsatz, dass Perfektion ein unerreichbares Ziel ist, welches obendrein nicht einmal wünschenswert ist. Haben Familien Ihrer Erfahrung nach häufig mit ihren natürlichen Macken zu kämpfen und stehen sie infolgedessen unter besonderem Stress?
Ja, Stress und Druck ist eindeutig etwas, das in vielen Familien ein bekanntes Grundgefühl ist. Die Bilder, die nach außen hin erzeugt werden, machen etwas mit unserem Inneren. Dabei spielen Werbung, Politik, und (soziale) Medien eine bedeutende Rolle. Sehr subtil und nachhaltig werden wir hier darauf getrimmt, was erstrebenswert ist. Dabei hängt die Messlatte gefühlt jeden Tag ein Stückchen höher. Ich plädiere daher immer für eine gute Portion Ehrlichkeit und ungeschminkter Echtheit, wenn man über das eigene Leben und Familienleben mit anderen Menschen im Austausch ist. Mehr Lebendigkeit und weniger Inszenierung und ein bewusstes Entscheiden für oder gegen gesellschaftliche Ideale: Das wünsche ich mir.
Die Messlatte, die sich gefühlt täglich weiter nach oben bewegt, ist ein Phänomen, das sich auf jeden erdenklichen Lebensbereich der Menschen ausdehnt. Nicht umsonst lautet ein berühmtes Sprichwort: „Wer rastet, der rostet“. Doch ständig auf Zack zu sein und nie das Gefühl zu haben, angekommen zu sein, ist sicher auch eine Belastung. Wie finde ich das schmale Gleichgewicht zwischen Bewegung und Stillstand, sodass ich mich auf lange Sicht als Person verbessere, ohne dabei die Momente der Ruhe und der Entspannung gänzlich aufzugeben?
Ich habe mich entschieden, das Gleichgewicht nicht mehr zu suchen. Jedenfalls nicht dauerhaft. Es ist wie bei einer Wippschaukel. Das Auf und Ab im Leben macht den Spaß, nicht das krampfhafte „in der Mitte halten“. Man kommt dann automatisch immer wieder kurz bei der Balance vorbei. Immer „oben“ zu sein ist anstrengend, immer „unten“ zu sein auch fad. Wenn man mag, kann man sich öfter fragen: „Wo bin ich gerade?“ „Möchte ich wieder mal die andere Seite erleben? Was kann ich jetzt tun, um dort hin zu kommen?“ Festhalten ist anstrengend. Im Fluss bleiben, mitschwingen, schaukeln: das fühlt sich für mich deutlich attraktiver an!
Das Gute einer besseren Hälfte
Manchmal sind die Auf- und Ab-Bewegungen des Lebens wild und unberechenbar, wie das Meer, das sich in den Unruhen eines Sturms aufbäumt. Ein guter Partner ist wie ein Seelenverwandter und in solchen Fällen der Fels in der Brandung. Was macht es mit Menschen, wenn Sie im privaten Umfeld und gerade in der Familie mit Unsicherheit und Disharmonie konfrontiert sind? Wirkt sich dies auf die generelle Ausgeglichenheit und seelische Gesundheit aus?
Ein guter Partner ist meiner Ansicht nach jemand, auf den ich mich voll verlassen kann. Dabei sind Partnerschaft und Liebesbeziehung zwei verschiedene Dinge, beides braucht es für tiefe, bedeutungsvolle Beziehungen. Unterm Strich sollte ich mich MIT meiner Paarbeziehung glücklicher fühlen als OHNE. Das mag für manche Menschen vielleicht zu pragmatisch sein. Dennoch kommt es drauf an: was brauche ich, damit es mir gut gehen kann? Wie feiern wir unsere Verbundenheit? Wie können wir lernen mit unseren Differenzen umzugehen? Das gilt für alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Schlüssel, um das zu bekommen, ist gute und klare Kommunikation. Denn, ja: Wenn wir unglückliche, frustrierende Beziehungen führen, kann das genau so krank machen wie schlechte Ernährung, mangelnde Bewegung oder zu wenig Schlaf.
Erwachsen mit Rückschlägen umgehen
Manchmal soll es einfach nicht sein und Beziehungen gehen kaputt. Man erkennt, dass man in der gegenwärtigen Beziehung unglücklicher ist, als man es vorher war. Wie können Ex-Partner konstruktiv und zielführend miteinander kommunizieren, sodass die Erziehung der Kinder trotz der auseinandergelebten Partnerschaft gelingt?
Indem sie sich vorher wie Erwachsene um ihre Verletzungen und Kränkungen kümmern, die in der Partnerschaft entstanden oder aufgeweckt worden sind. Es braucht Vergebung und Aussöhnung, einen Abschluss (am besten mit einem Ritual) der Liebesbeziehung in Achtung, Wertschätzung und Dankbarkeit. Alles, was misslungen, unvollkommen oder fehlerhaft war, darf gesehen und anerkannt werden. Nach einer entsprechenden Trauerphase kann auch eine konstruktive Partnerschaft als Eltern entwickelt werden, OHNE dass man auch noch ein Liebespaar ist.
Tipps
Wir haben nun gehört, worauf es alles so spezifisch ankommt, wenn man mit seinem/seiner Partner*in eine gelungene Beziehung führen möchte. Sie haben aber auch ganz grundlegende Ansichten zu dem Thema. Laut Ihrem Coaching Plan gibt es nämlich 3 Dinge, die ein harmonisches und entspanntes Familienleben gewährleisten: Gelassenheit, Achtsamkeit und Humor. Wie würden Sie diese Eigenschaften persönlich beschreiben und wie können unsere Leser*innen diese in ihrem eigenen Alltag finden und einbinden?
Für diese Antwort brauche ich sprechend zweieinhalb Stunden! Aber so viel sei hier gesagt:
- Gelassenheit hat für mich viel mit Annehmen und Loslassen zu tun. Von verschiedensten Dingen. Dann kann das Leben wieder Leichtigkeit bekommen.
- Achtsamkeit ist ein kraftvolles Werkzeug, um mich im stressigen Alltag ins Jetzt zu bringen. Das geht zum Beispiel, mit innerlichem Dokumentieren: Ich beschreibe in meinen Gedanken, was ich jetzt gerade mache.
- Humor ist wirklich ein Lebensretter, der halt leider nicht auf Knopfdruck funktioniert. Spielerisch bleiben, blödeln, sich selbst nicht so ernst nehmen und vor allem: TROTZDEM lachen! Das hat mich schon oft gerettet!