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Interview mit Daniela Albert

Zuletzt aktualisiert am 30. September 2022 von vik_admin

(Bio)
Daniela Albert
Schriftzug in Schreibschrift "Just Relax"
Wir sprechen heute über die Rolle, die Religion innerhalb einer Familie und der Kindererziehung einnehmen kann. Dazu haben wir Daniela Albert im Interview.
Daniela Albert

Einstieg

Hallo Frau Albert, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, um uns als Experte zum Thema “Familie” ein paar Fragen zu beantworten. Sie sind gelernte Erziehungswissenschaftlerin und beraten Familien, die sich mit ihrer Situation überfordert fühlen. Darüber hinaus sind Sie Autorin in verschiedenen christlichen Medien, was eine Verschmelzung Ihres Glaubens und Ihrer Arbeit symbolisiert.

Sie sind nämlich selbst Christin und haben ein Buch geschrieben, das das Elternsein in Verbindung mit dem Christentum thematisiert. Inwiefern spielt bei Ihnen persönlich Religion eine Rolle in der Erziehung und dem Meistern Ihres Familienalltags?

Glaube kann für Menschen ein Resilienzfaktor sein, zumindest wenn er positiv, ermutigend und haltgebend empfunden wird. Genau das versuche ich in meiner Erziehungsphilosophie zu vermitteln: Den Glauben als Ausgangspunkt zu nehmen, gnädig und liebevoll auf andere (speziell Kinder) und sich selbst zu schauen. Gleichzeitig ist es mir wichtig, wenn ich von religiöser Erziehung spreche, nicht außer Acht zu lassen, dass im Namen der Bibel Kindern sehr viel Leid zugefügt wurde und sie an vielen Stellen leider als Instrument der Unterdrückung und des (Macht)Missbrauchs verwendet wurde.

Ich beschäftige mich in meinem Buch und in meiner Arbeit viel mit den Faktoren, die dazu geführt haben, dass derart schreckliches Unrecht stattfinden konnte. Aber eben auch ganz stark mit der Frage, wie wir nun umdenken und das Gute für uns und unsere Kinder aus dem ziehen können, was da verborgen liegt. Es geht mir um eine christliche Erziehung, die Menschen stark und frei macht und sie eben nicht klein hält.

Was Sie eben erwähnten ist vor allem für christlich orientierte Eltern von Bedeutung. Lassen sich denn aus der Religion, vor allem dem Christentum, Lehren und Hilfestellungen ziehen, die auch für nicht-religiöse Eltern von Bedeutung sein könnten?

Absolut ja. Ich glaube, gerade in Beziehungen und ganz speziell eben in der Familie geht es oft darum, einander zu vergeben oder um Vergebung zu bitten. Also kurz gesagt, sich bei anderen entschuldigen zu können und eine Entschuldigung annehmen zu können, ohne noch wochenlang nachzutragen, was schiefgelaufen ist. Außerdem müssen wir uns ja manchmal selbst vergeben. Ich habe als Mutter selbst oft erlebt, dass ich in einer überfordernden Situation falsch reagiert habe und mich hinterher bei meinen Kindern oder meinem Partner entschuldigen musste. Die sind sehr gut im Vergeben und Vergessen. Nur ich selbst trage mir sowas oft viel länger nach. Und da finde ich die Aussagen, die in der Bibel, gerade im Neuen Testament, zum Thema Vergebung zu finden sind, äußerst hilfreich. Denn wenn man mit Jesus unterwegs ist, wird die Selbstvergebung quasi zur Pflicht.

Ihre Arbeit

Nun gibt es durchaus viele Familien, in denen die Kommunikation und das Vergeben & Vergessen nicht so gut funktionieren bzw. in denen Hilfe dabei benötigt wird. Sie bieten Eltern auf Ihrer Website eine 1-zu-1 Beratung an. Wer nimmt diese Art der Beratung tendenziell an und was sind die typischen Probleme, mit denen sich Eltern an Sie wenden?

Die Eltern, die zu mir kommen, haben sich oft selbst schon sehr viel mit Erziehungsfragen beschäftigt und haben oft den starken Antrieb, es sehr gut zu machen. Die Themen, die sie dann mit mir besprechen, sind sehr vielfältig, das beginnt mit dem Schlafverhalten von Neugeborenen und geht durch alle Entwicklungsphasen bis hin zu Problemen, die sich mit jung erwachsenen Kindern ergeben. Oft spielen die schon genannten hohen Erwartungen an den eigenen Alltag und das eigene Handeln als Eltern eine Rolle, aber auch Missverständnisse zwischen einzelnen Familienmitgliedern oder falsche Annahmen zur kindlichen Entwicklung. Ich erlebe immer wieder, dass Eltern glauben, dass ihr Kind dieses oder jenes schon können oder verstehen müsste, weil sie das von außen so suggeriert bekommen haben. Dabei sind diese Kinder dann noch viel zu klein und bräuchten eine ganz andere Ansprache. Eltern sind dann oft unfassbar erleichtert, wenn sie das verstanden haben.

Die vermeintlich dunklen Seiten des Elternseins

Dass Menschen sich bei Ihnen Hilfe suchen, zeigt ja deutlich, dass die Verantwortung über ein oder mehrere Kinder nicht nur mit positiven Aspekten einher geht. Auf Ihrer Homepage geben Sie an, dass es von Bedeutung ist, auch die dunklen Seiten des Elterndaseins zu thematisieren und zu akzeptieren. Was sind in Ihren Augen die Schattenseiten von Nachwuchs?

Genau die Dinge, die ich oben schon angedeutet habe. Wir gehen meistens ja mit großen Idealen in unsere Aufgabe als Eltern. Doch im Laufe der Zeit merken wir, dass es gar nicht so leicht ist, immer liebevoll, gelassen, konsequent oder was auch immer wir uns vorgenommen haben, zu sein. Wir scheitern. Manchmal im Kleinen, indem wir etwas sich einschleichen lassen, was wir eigentlich nie im Familienalltag haben wollten und manchmal in größeren Zusammenhängen, wenn wir zum Beispiel auf einmal brüllen, unfair reagieren oder Dinge zu unseren Kindern sagen, die für sie schmerzhaft sind. Viele Eltern merken außerdem, dass sie in Stresssituationen auf einmal gewalttätige Impulse haben, die sei eigentlich nicht von sich erwartet hatten – dass sie ihr Kind auf einmal am liebsten schütteln wollen, es zu fest am Arm packen und wegziehen oder kurz davor sind, es zu schlagen.

Solche Momente sind sehr schambesetzt und die meisten Eltern trauen sich gar nicht, darüber zu sprechen, weil Gewalt heute – zum Glück – ein Tabu ist. Allerdings sind diese Impulse leider ein Teil von ganz vielen Erwachsenen, das hat verschiedene Gründe, die etwas mit Stressverarbeitung im Gehirn und auch eigenen Kindheitserfahrungen zutun haben. Und diese Impulse gehen nicht dadurch weg, dass wir sie totschweigen und tabuisieren. Eltern brauchen Räume, in denen sie mit anderen über solche Momente sprechen können und den Gründen für ihre Empfindungen auf die Spur kommen können.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass manche Elternpaare (oder auch alleinerziehende Eltern) so sehr mit den dunklen Seiten zu kämpfen haben, dass sie die vielen schönen Dinge gar nicht mehr wahrnehmen?

Ja, das gibt es natürlich phasenweise in Familien.

Wenn man als Elternteil Gefahr läuft, nur noch den Fokus auf das Negative zu setzen, dann erschwert dies das Leben mit Kindern sicher ungemein. Wie kann man diesen Eltern helfen, wieder raus aus dieser facettenarmen Perspektive zu kommen?

Zuerst schaue ich mit den Eltern zusammen, wie es dazu kommen konnte, dass sich ein Fokus so verschieben konnte. Oft stehen am Anfang von solchen negativen Sichtweisen viel zu hohe Erwartungen an sich selbst, das Kind, den Partner oder den Familienalltag. Es ist ein erster guter Schritt, dort für einen realistischeren Fokus zu sorgen. Denn Familienleben ist nun einmal keine Werbesendung für Margarine, sondern es geht dabei um Glücksmomente im Chaos, um das Nebeneinander von Freude und Überforderung und am Ende, finde ich, hilft immer auch Humor. Wir haben in unserer Familie sehr viele Running Gags, die eigentlich aus Situationen entstanden sind, in denen uns das Wasser bis zum Hals stand, weil irgendwas nicht funktionierte. Mit ein bisschen Abstand können wir darüber herzlich lachen und das hilft uns dann auch, in der nächsten Situation ein bisschen gelassener zu bleiben.

Darüber hinaus finde ich Dankbarkeit sehr wichtig. Ich selbst schreibe sehr regelmäßig die schönen Momente auf, die jeder einzelne Tag trotz allen Widrigkeiten mit sich bringt, um sie nicht zu vergessen und um eben diesen Fokus zu verändern. Das rate ich auch meinen Familien, mit denen ich arbeite und oft sind wir alle überrascht, wie viel Schönes selbst im scheinbar miesesten Familienalltag noch verborgen liegt.

Trennung als zusätzliche Belastung

Man kann also mit viel Humor und Optimismus als Familie auch die schlimmsten Zeiten gemeinsam durchstehen. Manchmal gibt es aber keine Möglichkeit mehr, den klassischen Familienbund aufrechtzuerhalten. Schon lange ist es kein gesellschaftliches Tabu mehr, sich trotz Heirat und Kinder zu trennen. Letztes Jahr wurden allein in Deutschland 142.800 Ehen geschieden. Mit welchen Herausforderungen sehen sich alleinerziehende Eltern charakteristischerweise konfrontiert?

So ganz pauschal kann man das gar nicht benennen, weil es ja immer auf die persönlichen Umstände und das Netzwerk drumherum ankommt. Schwierig wird es vor allem da, wo es finanziell eng ist und wo ein Elternteil (oft die Mutter) ganz allein die Verantwortung trägt und der ehemalige Partner sich komplett rauszieht. Denn alleinerziehend heißt dann eben auch, jede einzelne Entscheidung allein zu treffen, nie jemanden zu haben, mit dem man sich die Verantwortung teilen kann oder mit dem man Sorgen besprechen kann. Es ist keiner da, der mal eben übernimmt, wenn die Nerven blank liegen. Das ist einfach anstrengend.

Glücklicherweise erlebe ich aber immer mehr ehemalige Paare, die sich ihrer gemeinsamen Verantwortung als Eltern sehr bewusst sind und da auch gemeinsam auf die Suche nach guten Lösungen gehen. Wichtig für alleinerziehende Elternteile ist wirklich, auch mal loslassen und abgeben zu dürfen. Wenn das nicht mit Hilfe des ehemaligen Partners geht, dann müssen andere Netzwerke her. Ich glaube, da sind wir als Gesellschaft manchmal noch ein bisschen nachlässig, wenn es darum geht, auch Single-Eltern in unserem Umfeld im Blick zu haben und denen das Dorf zu bieten, dass sie brauchen, um gut mit ihren Kindern und den Herausforderungen zu leben.

In einer Familie gibt es viele verschiedene Perspektiven auf einen Sachverhalt und eine Trennung bedeutet nicht nur zusätzliche Belastung für die Eltern. Auch die Kinder müssen sich mit ihrer begrenzten Lebenserfahrung auf ein vollkommen neues Leben mit verändertem Familienkonstrukt einstellen. Was sind die Schwierigkeiten, mit denen Scheidungskinder meistens zu kämpfen haben?

Problematisch wird es vor allen Dingen da, wo die Eltern stark zerstritten sind und bei der Trennung viel Porzellan zerdeppert wurde. Kinder fühlen sich in solchen Konstellationen oft sehr zerrissen oder haben das Gefühl, mit einem Elternteil loyal sein zu müssen. Gerade bei kleinen Kindern führt eine Trennung der Eltern darüber hinaus auch oft zu einer Verlusterfahrung, die sie nicht einordnen können. Trennungsängste, die sich beim Kita- oder Schulbesuch, aber auch beim Besuch des anderen Elternteils äußern, beobachte ich dann häufiger.

Tipps

Verlustängste können dabei nicht nur bei den Kindern auftreten, sondern auch Eltern in ihren Bann ziehen. In Ihrem neuesten Blog-Post thematisieren sie das Thema Angst und Beschützerinstinkt im Hinblick auf die Erziehung der Kinder. Besonders durch das Aufkommen immer ausgeklügelterer Überwachungssysteme scheint die Anzahl an „Helikopter-Eltern“ zuzunehmen. Was würden Sie Elternpaaren raten, die dazu tendieren, überfürsorglich zu agieren?

Ich finde es wichtig, den Grund für den Wunsch nach Überwachung oder besonderen Schutz zu hinterfragen. Manchmal ist es ja total angebracht, an den Kindern dranzubleiben und sie auch zu schützen und zu ihrem Schutz einzuschränken. Allerdings ist da immer die Gefahr, dass wir übers Ziel hinausschießen und unsere Kinder hemmen. Hier finde ich es wichtig, mit anderen Erwachsenen über unsere Ängste und Befürchtungen zu sprechen und zu versuchen, einen realistischeren Blick auf Situationen zu bekommen.

Vielen Dank

Durch Ihre Expertise haben wir offen über das Thema Schattenseiten im Elternsein reden können und erfahren, wie normal Selbstzweifel sind. Sie haben uns gut aufgezeigt, wie man damit umgehen kann, sodass man auch aus den schwierigsten Zeiten gestärkt hervortreten kann. Danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

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