Einstieg
Im Rahmen unserer Interviewreihe „Entspannen wie die Profis“ sprechen wir heute mit Anette Bauer. Sie ist Emotionscoach und geht den Sorgen und Problemen der Menschen durch langjährige Erfahrung und Durchhaltevermögen auf den Grund. Herzlich willkommen Frau Bauer, möchten Sie sich einmal selbst vorstellen?
Ich stelle mich gerne vor. Sie haben es ja schon erwähnt, ich bin Coach und Autorin, ich lebe in Köln und arbeite seit vielen Jahren selbstständig mit Einzelpersonen rund um all die Themen, die das Leben erschweren. Ich schaue gemeinsam mit ihnen, wo es sich lohnt, einen intensiven Blick drauf zu werfen, damit wieder mehr Leichtigkeit reinkommt und die Menschen wieder in einen Zustand der inneren Freiheit kommen, um das Leben selbst bestimmen zu können.
Danke für die Vorstellung. Ihre Arbeit ist sicherlich nicht so einfach, je nachdem mit wem Sie zusammenarbeiten. Sie sagen selbst von sich, dass Sie das Terrier Gen besitzen und beim Coaching nicht locker lassen, bis Sie das Thema beim Kunden durchleuchtet haben bzw. er das Thema selbst durchleuchtet hat. Inwiefern ist diese Hartnäckigkeit vorteilhaft in Ihrem Beruf?
Ich weiß nicht so recht, ob Hartnäckigkeit das richtige Wort ist. Vielmehr würde ich sagen, dass ich eine besondere Ausdauer beim Coaching besitze. Der Mensch, der den Weg einschlägt, zu einem Coach zu gehen oder sich in eine andere Form der Begleitung zu begeben, die ein Problem lösen soll, hat schon einiges im Gepäck. Manchmal existieren in ihm schon Erfahrungswelten und Emotionswelten, die den Blick auf das eigentliche Problem und dessen eigentlichen Ursprung ein bisschen verstellen. Das heißt, Coaching lebt vom Fragen: Als Coach muss ich fragen können und besonders im richtigen Moment die richtigen Fragen stellen können. Dazu gehört manchmal, dass ich das Thema umkreise mit meinen Fragen und dem Klienten helfe, immer tiefer in die eigentliche Problemstellung einzutauchen. Wenn ich da zu früh aufhöre, nicht tief genug bohre, bin ich ihm keine Hilfe. Ich verwende in meiner Arbeit gerne das Bild von der Zwiebel, die man schält. Da gibt es die erste Schicht, die immer von allein abfällt; das ist dann das Offensichtliche im Coaching. Dann weiß man allerdings auch, dass alles, was irgendwie braun ist, auch runter muss. Das ist dann schon eine Phase, wo viele eine gute Gesprächsunterstützung brauchen, um sich von dieser Schicht zu lösen. Und dann gibt es da noch diese Zwiebeln, bei denen so Schadstellen sind, die man nicht sofort sieht.
Die Schicht muss ich dann auch runternehmen und so ähnlich läuft das auch manchmal mit Themen im Coaching, nämlich dass man wirklich immer tiefer gehen muss. Das Gespür dafür entwickelt man mit der Zeit, wenn man Menschen begleitet. Man merkt, dass etwas offensichtlich das Thema zu sein scheint, aber dass da noch was hinter steckt, was noch nicht auf dem Tisch liegt. Genau das meine ich mit Terrier Gen. Der Ausdruck kommt ursprünglich daher, dass mein erster Ausbilder in der systemischen Coaching Ausbildung sagte: „Leute, ihr müsst sein wie ein Terrier: Wenn ihr das Gefühl habt, ihr seid auf dem richtigen Weg, dann verbeißt euch in die Waden wie der Hund und lasst nicht nach, bis ihr wisst, dass ihr den Kern erreicht habt“. Es ist also zusammenfassend wirklich wichtig, ausdauernd zu sein, sodass die Klienten an den eigentlichen Punkt kommen, der sie beschäftigt und der den Kern des Problems bildet. Manchmal braucht es da mehrere Sitzungen, in denen man die erste und die zweite Schicht bearbeiten kann, bis ich dann weiter gehen darf und weiter in das Thema eindringen kann.
Achtsamkeit im Alltag
Nach Ihrer Beschreibung kann man sich das sehr gut wie eine mentale Wunde vorstellen, die man erst einmal versteckt hält. Wenn man den Heilungsprozess beginnen möchte, dann muss man an diesem ersten Punkt des Widerstands erst mal durchpowern und dran bleiben.
Ja, genau. Es gibt auch in der Therapie dieses Bild: Wenn man heilen will, muss man durch – durch den Schmerz, durch die Angst, durch die Wut. Ich kann das nicht umschiffen, ich muss in die Emotionen rein, sonst erreiche ich nicht das Stadium der Heilung.
Es gibt bestimmt verschiedene Dinge, mit denen Menschen sich an Sie wenden. Auf Ihrer Webseite sprechen Sie vor allem von dem Konzept der Scanner Seelen, das habe ich persönlich noch nie gehört. Was kann man sich darunter vorstellen und wie zeigt sich so etwas im Alltag?
Ich habe mich viel mit den Thema Begabungsforschung befasst und die Scanner Persönlichkeit/Scanner Seele ist eine bestimmte Form der Begabung, die aber in unserer Gesellschaft nicht weit verbreitet ist. Die meisten Menschen kennen das Thema Hochbegabung. Das sind Menschen, die einen sehr hohen IQ besitzen und sich damit auch manchmal in sozialen Kontexten, wie der Schule oder der Arbeitswelt, schwertun, weil sie einfach fünf Schritte weiter sind als alle anderen. Eine Scanner Persönlichkeit hat hingegen eine besondere Fähigkeit zur Vielfalt. Sie sind Menschen, die mehrere Projekte gleichzeitig haben, die vielen verschiedenen Dingen in ihrem Leben Aufmerksamkeit zuwenden und die über eine ganz große Neugierde und Abenteuerlust verfügen. Außerdem verfügen sie über die Fähigkeit, sich immer wieder neu auf etwas einlassen zu können. Wo andere Menschen viel Ruhe und Beständigkeit brauchen und sagen „Oh nein, nicht schon wieder. Jetzt will schon wieder jemand was Neues von mir, ich habe mich doch gerade erst in das Thema eingearbeitet,“ jubelt der Scanner und sagt „Ja bitte, endlich wieder was Neues.“
Ich bin selbst eine Scanner Persönlichkeit, die auch die Fähigkeit hat, die Dinge schnell zu durchdringen. Wir Scanner Persönlichkeiten können uns unglaublich schnell in eine bunte Vielfalt an Themen einarbeiten. Durch dieses große, breite Interesse sind wir nicht das, was zur Abgrenzung als Bild passt, nämlich der sog. ‚Taucher‘. Der Taucher entdeckt ein Thema und taucht immer tiefer und tiefer in dieses Thema ein. Oft werden das lebensbegleitende Themen. Der Scanner hat selten diese tiefen, lebensbegleitenden Themen, sondern vielmehr einen roten Faden. Bei mir ist es Kreativität, die sich durch alles zieht. Früher habe ich viel Musik gemacht (heute komme ich da wieder hin), dann habe ich zwischendurch alle möglichen Maltechniken ausprobiert. Ich bin aber an nichts richtig hängen geblieben, denn wenn ich verstanden habe, wie etwas funktioniert, war es auf einmal langweilig. Ein großes Merkmal bei Scannern ist Langeweile. Sie haben zuhause große Bücherstapel liegen, weil sie nie ein Buch, sondern gleich fünf lesen werden. Scanner haben so Hobbykisten überall rumstehen, weil sie immer mehrere Dinge so interessant finden, dass sie gleichzeitig viele Projekte anfangen und selbst oft in die Wahrnehmung kommen, dass sie nichts zu Ende bringen können. Das stimmt aber gar nicht, denn hier kommt wieder das Phänomen zum Tragen: wenn man etwas schon kann, dann ist das Interesse wieder weg. Dem Scanner geht’s ums Erfassen, ums Ausprobieren, ums Verstehen, ums Umsetzen und dann ist es auch wieder gut. Wenn er ein Thema mal angeschnitten und beleuchtet hat, dann reicht es.
Es gibt verschiedene Arten von Scannern. Es gibt den zyklischen Scanner, der immer wieder zu bestimmten Themen oder Tätigkeiten zurückkommt. Was auch spannend ist: Ich werde sehr häufig gefragt, wie es mit den Scannern in einer Beziehung aussieht und ob dort auch der ständige Drang zum Wechseln auftaucht. Das hat aber damit nichts zu tun, unsere Beziehungsfähigkeit ist ein ganz anderes Feld unserer Persönlichkeit. Der Hochbegabte sagt schließlich auch nicht: „Mit dem kann ich nicht zusammen sein, der hat einen IQ von 90.“ Die Scanner können also ganz beständige, langjährige Beziehungen führen und gute Eltern sein. Aber wenn es um Themen und unsere Interessen geht, dann werden wir von der Außenwelt oft wahrgenommen als Menschen, die sich auf nichts festlegen können und immer irgendwas Neues anfangen müssen.
Die Scanner Persönlichkeiten
Danke für die ausführliche Beschreibung. Alles, was Sie beschrieben haben, klingt sehr positiv. Vor allem in einer Zeit, in der man besonders im beruflichen als auch im privatem Bereich mit Optionen förmlich erschlagen wird, denen man seine Zeit widmen kann. Es gibt so viel Auswahl wie nie zuvor, wie man seine Zeit verbringen kann. Aber eine Scanner Persönlichkeit kommt sicher nicht nur mit Vorteilen. Welche Probleme oder Schwierigkeiten sind denn mit den Scanner Seelen zu assoziieren? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Prokrastination ein Problem darstellt, weil man ständig von Thema zu Thema gezogen wird und dann vielleicht etwas rumspringt und seine Angelegenheiten nicht erledigt.
Das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Prokrastination unterscheidet sich auf ganzer Linie von einer Scanner Persönlichkeit. Bei einer Scanner Persönlichkeit gibt es einen Grund, warum sie die Dinge zur Seite legt; das Thema ist erschöpft, das Thema ist zu Ende. Nun ist es in unserer Gesellschaft verbreitet, dass man dranbleibt, dass man sich durchbeißt, dass man sein Ding findet – für Scanner ist es einfach immer etwas Anderes. Es gibt immer ein neues Herzensding und das ist in unseren Gesellschaft nicht so vorgesehen. Wenn man jetzt auf die Menschen schaut, die ein ausgeprägtes Aufschiebe Verhalten haben, dann gibt es auch dafür ganz verschiedene Ursachen. Sie haben es nicht gelernt, sich zu organisieren, zum Beispiel, weil man das heute auch in der Schule nicht so gut lernt. Arbeitsorganisation ist ein Riesenthema für Menschen, die aufschieben. Das ist etwas, das man lernen kann und dann verschwindet das Aufschiebe Verhalten auch.
Sehr viel häufiger ist meiner Meinung nach bei einer Prokrastination das Phänomen, dass ein Thema dahintersteckt, also dass ich eine emotionale Bindung, eine Erfahrung habe, die dazu führt, dass ich Vermeidungsverhalten oder Blockadeverhalten an den Tag lege und deshalb Dinge wie Erfolg vermeide. Da schiebt man dann beispielsweise den Studiumsabschluss mit Prokrastination bewusst oder unterbewusst auf. Warum kann das passieren? Weil vielleicht in meiner Familie die Auffassung besteht, dass Menschen, die viel Geld haben, arrogant und blöd sind. Wenn ich also erfolgreich bin, könnte es sein, dass ich gutes Geld verdiene und mich dann aus meinem Familiensystem löse. Es besteht ja immerhin die Annahme, dass ich ja da nicht mehr hinpasse, wenn ich viel Geld verdiene. Das sind solche gedanklichen Verhaftungen, die emotional fundiert sind, denn das sind Dinge, die im Hinterkopf rumwandern, in dem Unterbewusstsein – wir können das gar nicht greifen. Diese Dinge sind wahnsinnig mächtig und diese Dinge können wir oft nicht durchschauen.
Bei Prokrastination, das beschreibe ich auch in meinem Buch, kann diese Ursachendecke total vielfältig sein. Sie kann einen sehr unterschiedlichen Ausprägungswert haben und es ist mir demnach ganz wichtig, dass ich das ganz klar von der Scanner Persönlichkeit trenne. Diese hat eher die Schwierigkeit zu sagen: „Dieses Thema verabschiede ich jetzt feierlich in Würde und mit einem Ritual. Ich bin mit mir im Reinen.“ Die Gesellschaft suggeriert nämlich, dass wir dabei bleiben müssen, wenn wir uns für etwas entschieden haben.
Tipps
Sie haben neben den Scanner Seelen sehr viel mit Leuten und Ihren Problemen zu tun. Haben Sie zum Schluss einen Tipp für alle Zuhörer*innen, die in ihrem privaten Umfeld oder auf der Arbeit mit Prokrastination kämpfen? Was kann ich tun, um mich besser zu motivieren? Ist Ihr Buch vielleicht auch ein Ansatz dafür?
Mein Buch ist auf jeden Fall eine große Hilfe und ich erkläre Ihnen auch gerne, warum. Das Problem von Menschen mit echter Prokrastination ist nicht die Motivation. Sie sind hoch motiviert, wollen wirklich ihre Ziele erreichen und verzweifeln daran, dass sie scheitern. Also wenn es zum Beispiel um die klassische Seminararbeit im Studium geht: Die Leute, die arbeiten Pläne aus, die haben eine genaue Struktur aber sie scheitern am ersten Schritt. Es geht bei ihnen nicht darum, wie sie sich organisieren; es geht vielmehr darum, wirklich mit offenem Herzen hinzuschauen, warum man den ersten Schritt nicht macht und das ist meistens eine emotionale Blockade. Wichtig ist, dass jemand, der denkt er prokrastiniert oder der sehr ausgeprägtes Aufschiebe Verhalten hat, im ersten Schritt verstehen sollte, welche Ausprägung der Prokrastination er hat. Das wird gesellschaftlich oft nicht erklärt und ist eine großes Misch Masch, wo es den Menschen wirklich oft nicht leicht fällt, hinzugucken. In meinem Buch erkläre ich, wo die unterschiedlichen Ausprägungen herkommen, wo man stehen kann, wo man sich einordnen kann und dann auch noch an der richtigen Stelle mit der richtigen Maßnahme arbeitet, denn wenn ich über Jahre hinweg total viel probiert habe und in vielen Motivationsseminaren war und es funktioniert nicht, dann steckt in der Regel was anderes dahinter. Verstehen ist alles.
Sozusagen einen Rückschluss machen, dass die Gründe für das Aufschiebe Verhalten tiefer gehen, als das ich gerade keine Lust habe, etwas zu tun. Dann sollte man versuchen, das in Eigenarbeit oder mit einem Coach zu ergründen.
Wenn ich an der Stelle merke, dass alle schlauen Ratgeber nicht helfen, dann ist in der Regel der Weg zum Coach oder bei einer krankhaften Prokrastination auch in die Therapie ratsam. Man sollte auf jeden Fall keinerlei Scheu haben, sich Hilfe zu holen.