Das Gespür für den Raum
Ein lichtdurchflutetes Penthouse mit viel Platz für Kunst: Diese großzügige Wohnung hat Innenarchitektin Ilka Hilgemann vom Dortmunder Büro raumgespür entworfen. Mithilfe vieler Gespräche mit dem Bauherrn, mit viel Liebe zum kleinsten Detail und einem aufmerksamen Blick fürs Wesentliche ist ein Zuhause entstanden, in dem sich der Eigentümer mehr als wohlfühlt. Er ist Arzt von Beruf, Kunstfreund aus Passion und eine gute technische Ausstattung ist ihm wichtig. Bodentiefe Fenster beleuchten gut geschnittene Räume, eine ausgeklügelte Lichttechnik rückt nicht nur die Kunst in den Blickpunkt, die Bäder lassen keine Wünsche offen und sorgfältig ausgewählte Farben und Materialien tragen maßgeblich zur Atmosphäre bei.
Die Innenarchitektin über ihren Weg bislang und ihren Stil
Wie verlief Ihr Weg zur selbstständigen Innenarchitektin?
Nach meinem Studium der Innenarchitektur in Düsseldorf und Paris war ich zunächst im Kaufhausbau tätig. Anfang der 2000er-Jahre musste ich umdisponieren – in einer Zeit, als die Konjunktur zu wünschen übrig ließ. Heute sind Gott sei Dank die Zeiten gut, es gibt einen regelrechten Bauboom. 2003 habe ich mich selbstständig gemacht. Am Anfang war es nicht leicht, wohl auch, weil mir die richtigen Werbemöglichkeiten fehlten. Aber wie es immer so ist: Man wächst mit seinen Aufgaben, aus einem Projekt ergibt sich ein anderes, Bauherren sprechen Empfehlungen aus, das Portfolio wird umfangreicher – und viele schöne Projekte sind heute unsere Visitenkarte.
Was lieben Sie an Ihrem Beruf als Innenarchitektin?
Natürlich liebe ich es vor allem, wenn ein Projekt vollendet ist: Man sieht seine Vorstellungen verwirklicht, im Idealfall vielleicht sogar übertroffen. Das macht mich sehr glücklich. Und natürlich freut es mich zu sehen, wie wohl sich die Bauherren fühlen: Das ist unser erklärtes Ziel, denn wir schaffen ja Lebensräume und somit Lebensqualität für Menschen.
Was ist Ihr persönlicher Stil? Wie gefällt Ihnen ein Raum am besten?
Zu den wichtigsten Faktoren eines Raums gehören für mich Licht und Material – der Lichteinfall, das Spiel mit Oberflächen, mit Harmonien, Kontrasten und natürlich mit Farben. Doch letztlich machen viele Faktoren einen gelungenen Raum und seine Qualitäten aus. Meinen Stil würde ich grundsätzlich als modern und schlicht beschreiben. Wichtig ist, dass die Objekte für sich wirken können.
Wo holen Sie Ihre Inspiration her?
Inspiration ist überall – wir haben heute natürlich ideale Möglichkeiten. Während meines Studiums gab es noch kein Internet, da habe wir uns viel an Interior- und Wohnzeitschriften inspiriert. Heute findet man all das natürlich im Internet – es ist allgegenwärtig und hilft, aktuelle Trends weltweit zu verfolgen und aufzuspüren. Genauso wichtig ist es aber, mit offenen Augen durch die reale Welt zu gehen und das wahrzunehmen, was uns umgibt: Manchmal sind es die kleinen Dinge – das Unscheinbare, das oft Gesehene, aber nie wirklich Wahrgenommene – die eine neue Idee in uns hervorrufen.
Wie gehen Sie vor, wenn sie einen Raum gestalten? Was sind die ersten Schritte?
Zuerst verschaffe ich mir einen Überblick anhand der Grundlagen, die mir zur Verfügung stehen – in der Regel ist das erst einmal der Grundriss. Er gibt Aufschluss über die Raumproportionen, die Größe und die Lichtsituationen und die Wege der Räume untereinander. Aber er zeigt auch, ob sie den speziellen Anforderungen der Bauherren gerecht werden, ob sie alltagskompatibel und zweckmäßig sind. Auf der Grundlage dieser Einschätzungen wird das Gespräch mit den Bauherren weitergeführt und das Projekt gemeinsam weiterentwickelt.
Was waren bisher die größten Herausforderungen?
Sich besonderen Herausforderungen zu stellen, gehört zum Job dazu. Für alles gibt es eine Lösung, und oft sogar mehrere. Da war etwa ein Bad mit drei Türen – für einen Rückzugsraum alles andere als ideal. Oder ein Haus ohne rechten Winkel – da war schon allein das Aufmaß eine Herausforderung, denn das ist die Grundlage aller weiteren Schritte. Für uns Innenarchitekten ist es wichtig, ein Aufmaß auf Basis der bereits bestehenden Pläne noch einmal selbst zu erstellen, um passgenaue Lösungen für den Ausbau und die Einrichtung entwickeln zu können – maßgefertigte Möbel, Treppen, Küchen usw.
Wie sieht ein Arbeitsalltag bei Ihnen aus?
Mein Arbeitsalltag ist zweigeteilt: Auf der einen Seite der kreative Part, auf der anderen Seite der administrative Teil meiner Tätigkeit. Dazu gehört beim Bauen im Bestand natürlich, sich vor Ort ein Bild des Gebäudes zu machen. Später folgen das Einholen von Angeboten und ihre Bewertung, die Auftragserteilung in Absprache mit den Bauherren, die Koordination der Gewerke (Stichwort Bauzeitenplan) und letztlich die Bauleitung, im steten Gespräch mit allen Beteiligten. Dies alles nimmt natürlich im Büro und vor Ort viel Zeit in Anspruch, aber die Kreativität kommt nie zu kurz.
Die Wohnung – Maßgeschneidert auf den Bewohner
Wie lange hat die Inneneinrichtung dieser Wohnung gedauert?
Bei dieser Wohnung handelte es sich um einen Neubau. Erfreulicherweise kam der Bauherr noch in der Rohbauphase auf mich zu, sodass wir optimale Voraussetzungen für die Gestaltung hatten. Von der initialen Planung bis zur Realisierung dauerte es ca. ein Jahr.
Mit welchen drei Adjektiven würden Sie diese Wohnung beschreiben?
Sehr hell, gradlinig und modern – und darauf abgestimmt, den vorhandenen Kunstwerken den richtigen Rahmen zu bieten.
Was ist Ihr persönliches Highlight in der Wohnung?
Die Bäder natürlich. In meinen Augen ist ein Bad dann gelungen, wenn Funktionalität und Ästhetik eine perfekte Symbiose eingehen. Auch in dieser Wohnung verbinden sich Materialien wie Glas, Edelstahl, Holz, Feinsteinzeug, Keramik und Lichtkomposition zu einem harmonischen Ganzen.
Gab es in dieser Wohnung Schwierigkeiten oder besondere Herausforderungen?
Die Planung wurde durch die ungewöhnliche Form des Gebäudes mit seinen vielen Schrägen erschwert. Hinzu kam, dass der ursprüngliche Grundriss nicht den Wünschen und Anforderungen des Bauherrn entsprach.
Ist die Wohnung genauso geworden, wie sie zu Beginn geplant wurde oder gab es Abweichungen?
Die Wünsche und Bedürfnisse des Bauherrn machten es notwendig, den gesamten Grundriss zu überarbeiten und die Räume neu aufzuteilen, während der Bauphase die Realisierung zu überprüfen und flexibel und dennoch konsequent zu reagieren. Letztlich haben wir die perfekten Lösungen gefunden und auch umgesetzt.
Inwiefern passt die Wohnung zu ihrem Bewohner?
Alle Wünsche des Bauherrn sind so realisiert worden, dass er sich nach eigenem Bekunden in seinem Zuhause sehr wohlfühlt: Viel Licht, viel Raum – und Reduktion auf das Wesentliche auch im Mobiliar, was seinem Stilempfinden entspricht. Dennoch kommt ganz Persönliches nicht zu kurz: Ob es eine Märklin- ‘Krokodil“-Eisenbahn ist, das Familienfoto oder ein gusseisernes Teekännchen von Ken Okuyama.
Über Bauhaus, Vorbilder und die Zukunft…
An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Wir renovieren im Moment ein Ferienhaus auf Sylt und schließen in Mühlheim demnächst den Ausbau eines großen Einfamilienhauses ab. Außerdem betreue ich derzeit einen noch in der Planung befindlichen Neubau in der Nähe von Hannover. Unser Schwerpunkt liegt zwar auf dem privaten Wohnen, wir bauen aber auch für gewerbliche Kunden, z.B. für das St. Josef-Hospital oder das Hospiz in Bochum.
Auf was legen Sie beim Betreten einer Wohnung oder eines Hauses am meisten Wert?
Auf jeden Fall auf Tageslicht. Und die ausreichende Größe des Flurs ist mir wichtig, denn viele Flure sind einfach zu eng, um Besucher willkommen zu heißen. Insgesamt sollte eine Wohnung jeden mit ansprechendem Design empfangen, um sich dort wohlzufühlen.
Dieses Jahr ist 100jähriges Jubiläum vom Bauhaus. Wie ist Ihre Einstellung zum Bauhaus?
Ich glaube, dass das Bauhaus Design in die Welt hinausgetragen und Dinge entwickelt hat, die zeitlos und heute für uns immer noch schön sind. Die Häuser entsprechen zwar nicht mehr den heutigen Vorstellungen vom Wohnen, da wir uns in diesem Bereich weiterentwickelt haben, sind aber dennoch ein Meilenstein von Architektur und Gestaltung. Letztendlich hat das Bauhaus aber besonders uns Frauen neue Chancen im Bau und im Design eröffnet. Es war in gewisser Weise eine Befreiung, dass in den Werkstätten erstmals Frauen kreativ arbeiten durften. Sie haben den Weg geebnet, dass Frauen heute ganz selbstverständlich als Architektinnen arbeiten können. Das Bauhaus hat für uns Bahnbrechendes geleistet, das man anerkennen muss.
Haben Sie Vorbilder?
Wer mich persönlich immer sehr begeistert hat, war Eileen Gray. Sie hat als Innenarchitektin in Frankreich sehr viele Innenräume entworfen, unter anderem auch Designer-Möbel. Viele kennen den kleinen, runden multifunktionalen Beistelltisch mit dem Chromgestell und der Glasplatte. Sie war für mich immer ein großes Vorbild, weil sie sehr auf Details geachtet und individuell gestaltet hat. Ihr Haus an der französischen Riviera hatte eine runde Glaskuppel, die mittels einer besonderen Vorrichtung komplett abgedunkelt werden konnte.
Was denken Sie, wird sich zukünftig im Bereich Architektur/Innenarchitektur verändern?
Ich habe zunehmend den Eindruck, dass die Ansprüche ans Wohnen gestiegen sind. Daher glaube ich, dass die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Innenarchitekten immer wichtiger wird. Bei unserem Projekt in Mühlheim gibt es z.B. nicht nur einen Architekten, sondern auch einen Landschaftsarchitekten und mich als Innenarchitektin. Ich hoffe, dass durch enge Zusammenarbeit und Kommunikation mehr Anknüpfungspunkte geschaffen werden und der Innenarchitektur dadurch eine neue Wertschätzung entgegengebracht wird. Egal, ob in einem Kindergarten oder in einem Hospiz: Es geht immer darum, die Lebensqualität zu verbessern. Und um das zu erreichen, ist gute Kommunikation aller Beteiligten ganz wichtig. Letztlich dient doch alles dem gemeinsamen Ziel, individuelle Lebensräume zu schaffen in denen sich die Bewohner wohlfühlen.